Bewegte Verkehrsschilder

Manchmal kann es Leben retten, etwas zu übertreiben: Schilder, die eilige Fußgänger zeigen, fallen Autofahrern eher auf. Von Walter Schmidt

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Fußgänger hat zu gehen, auch im deutschen Schilderwald. Schließlich muss hierzulande alles seine Ordnung haben. Und so zeigen deutsche Warn- oder Hinweisschilder, die Autofahrer für unvermutet auftauchende Fußgänger oder einen Zebrastreifen sensibilisieren sollen, auch bloß gehende und keine rennenden Menschen - genau genommen Männer.

Ähnlich sieht es in der Schweiz aus. Und in Österreich erweckt das »Gefahrenzeichen Nummer 12« den Eindruck, als befänden sich die dargestellten Kinder auf einem versonnenen, nahezu schläfrigen Bummel zum nächsten Kindergarten, und nicht mitten in wildem Kinderspiel. Dabei soll das Zeichen letztlich vor ihrem jähen Auftauchen auf der Fahrbahn warnen. Das entsprechende deutsche Schild (Zeichen 136) kommt dem wahren Unfallrisiko deutlich näher.

Dummerweise könnte es Menschenleben kosten, das Wort Fußgänger auf Verkehrsschildern allzu wörtlich zu nehmen. Denn Autofahrer nehmen Verkehrszeichen offenbar deutlich eher wahr, wenn die Bewegung von Menschen darauf übertrieben wird. Anders ausgedrückt: Ein Fuß-»Renner« auf dem Schild vergrößert die Überlebenschance von Fußgängern auf der Straße deutlich. Das legt eine neue Studie aus den USA nahe, die im Fachblatt »Journal of Consumer Research« online vorab veröffentlicht wurde.

Wenn ein Auto plötzlich anhalten muss, weil zum Beispiel ein spielendes Kind hinter einem Ball her auf die Straße läuft, können Millisekunden über Leben und Tod entscheiden. Da ist eine effektive Warnung der Autofahrer vor möglichen Gefahren wichtig. »Ein Hinweisschild, das raschere Bewegungen ankündigt, verstärkt die Gefahrenwahrnehmung, was wiederum die Aufmerksamkeit erhöht und frühere Bremsmanöver hervorruft«, urteilt der Ko-Autor der Studie, Ryan Elder von der Brigham Young University im US-Bundesstatt Utah, der die Wahrnehmung und das Verhalten von Verbrauchern erforscht. Sein Fazit: »Wer Aufmerksamkeit erregen möchte, muss Hinweisschilder dynamischer machen.«

Das in den USA übliche Zeichen für einen Fußgänger-Überweg wirkt sogar noch harmloser als die im deutschsprachigen Raum gebräuchlichen. Flotter kommt das polnische daher; hier laufen die beiden Kinder immerhin. Und auf einem Zeichen, das Ryan Elder und seine beiden Wissenschaftler-Kollegen Luca Cian und Aradhna Krishna von der University of Michigan vorschlagen, wird aus dem Trab der Kinder ein buchstäblich beeindruckender Spurt. »Wenn die abgebildeten Figuren bloß zu gehen scheinen, verschwendet das Gehirn eines Autofahrers keinen Gedanken daran, sie könnten plötzlich vor ihm auf die Straße geschossen kommen«, sagt Elder. »Rennen sie jedoch auf dem Zeichen, kann man sich leicht vorstellen, dass sie plötzlich in großer Eile vor einem auftauchen.«

Die Forscher haben ihre Annahmen mit Hilfe verschiedener Methoden getestet, so zum Beispiel im Fahrsimulator mit einem Gerät, das die Bewegung der Pupillen in Reaktion auf bewegte Bilder verfolgt und die Reaktionszeit misst.

Eine der Fahrsimulationen ergab, dass die Testpersonen um 50 Millisekunden schneller auf Verkehrszeichen mit sich rasch bewegenden Figuren reagierten als auf solche mit gemächlich gehenden. Das klingt nach wenig, doch das täuscht: Ist ein Auto mit 60 Meilen (knapp 97 Kilometern) pro Stunde unterwegs, dann entsprechen die 50 Millisekunden einem Zusatzbremsweg von über 1,30 Metern. Auch bei geringeren Geschwindigkeiten, wie sie in Ortschaften vorgeschrieben sind, kann die winzig anmutende Zeitspanne den Unterschied zwischen einem überfahrenen und einem überlebenden Kind ausmachen.

In einem weiteren Experiment konnten die Wissenschaftler zeigen, dass auch andere Verkehrszeichen eher auffallen und die Aufmerksamkeit von Betrachtern länger für sich beanspruchen können, wenn sie mehr Dynamik schildern. Beispiel dafür sind stürzende statt bloß über die Kante kippende Steine an brüchigen Felsen, wie sie das deutsche Zeichen für Steinschlag - diesmal vorbildlich - zeigt; oder auch galoppierende statt lediglich trabende oder gar gehende Pferde. Und auch, wer das US-Zeichen für unvermutet auftauchende Schneemobile kippt und so ein talwärts sausendes Gefährt vorspiegelt, erregt mehr Aufmerksamkeit als mit einem horizontal fahrenden.

»Dinge, die aussehen, als bewegten sie sich, schaffen es eher, uns bewusst zu werden«, sagt Ryan Elder. »Unser Gehirn mag es nun einmal, auf einem Bild angedeutete Bewegungen im Geiste fortzusetzen - und das hat entscheidende Konsequenzen.« Angesichts von jährlich über 37 000 Verkehrstoten infolge von Unfällen, an denen Autos beteiligt waren, und mit Blick auf über 2,3 Millionen mehr oder minder schwer Verletzte im Straßenverkehr hoffen die drei US-Forscher, mit ihrer Studie einen Beitrag zu mehr Sicherheit auf amerikanischen Straßen leisten zu können - gerne auch auf europäischen.

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