Eine Urdroge der Menschheit

Eine Ausstellung in Basel zur Kulturgeschichte des Opiums

  • David Siebert
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein »Opiumbrot« in einer Glasvitrine begrüßt die Ausstellungsbesucher: Ein kiloschwerer Brocken Rohopium aus der Türkei, 1975 für wissenschaftliche Forschungszwecke an die Basler Chemiefirma Sandoz geliefert. Daneben zeigt eine Zeittafel, wie lange der Schlafmohn, aus dem Opium gewonnen wird, bereits die Menschheit begleitet: Der älteste Fund lag bei Köln und ist rund 7000 Jahre alt. In Sumerische Keilschriften von 2700 vor Christus wird Opium - tituliert als »Pflanze der Freude« - als Heil- und Genussmittel erwähnt, im Papyros »Ebers«, dem ältesten Buch der Heilkunst Ägyptens, als Medikament gegen Koliken und Aphrodisiakum.

Die Sonderausstellung in Basel setzt auf die ethnologische Tradition, Werturteile zu vermeiden und hält sich, so betont Direktorin Anna Schmidt, an die Devise des französischen Schriftstellers, Regisseurs und Opiumkonsumenten Jean Cocteau: »Ich verteidige nichts. Ich richte nicht. Ich trage belastende und entlastende Urkunden zum Prozess des Opiums bei.«

So sind zahlreiche Objekte rund um den Opiumkonsum zu sehen, aus Ländern wie Vietnam, China oder Thailand: alte, kunstvoll verzierte Nadel und Lampen, mit denen die getrocknete klebrig-braune Opiummasse vor dem Rauchen erhitzt wird, ornamentgeschmückte Opiumtabletts und -dosen und Dutzende von Opiumpfeifen - vom schlichten Bambusrohr-Modell mit Lehmkopf aus entlegenen Bergregionen Südostasiens bis hin zu Luxuspfeife mit Silber- oder Jade-Applikationen. Eine Glasvitrine mit Ampullen und Apothekergefäßen verdeutlicht, dass opiumhaltige »Universalheilmittel« bis Anfang des 20. Jahrhunderts einen festen Platz in europäischen Apotheken hatten: Zum Beispiel »Laudanum«, eine 1527 vom Arzt und Naturforscher Paracelsus erfundene Wein-Opiumtinktur mit beruhigender und schmerzstillender Wirkung.

»Opium ist heute noch in abgelegenen Regionen Südostasiens oft das einzig verfügbare Medikament für arme Bevölkerungsgruppen«, sagt Kuratorin Dr. Doris Buddenberg. »Auch in der modernen Medizin ist es unersetzlich, zum Beispiel für Schmerzmitteln wie Morphin oder Codein. Deswegen gibt es eine legale Produktion - unter strengen Auflagen.« Buddenberg ist Expertin auf dem Gebiet: Die Volkswirtschaftlerin und Ethnologin war jahrelang für die UNO in Sachen internationaler Drogenpolitik tätig - u.a. in Afghanistan, Indien und Pakistan.

Ihre Ausstellung setzt auf die sinnliche Erfahrbarmachung des Themas: Eine Video-Klanginstallation mit Zeitlupenaufnahmen und wabernden Streicherklängen verdeutlicht das verlangsamte Zeitempfinden im Opiumrausch. Der Nachbau einer Opiumhöhle aus Plexiglas - bewusst abstrakt gestaltet, um das Klischee der verkommen-schummrigen Drogenhöhle zu vermeiden - lässt die geschärfte Geräuschwahrnehmung nachempfinden. Ein in allen Farbtönen schillernder Lichtgang zeigt, wie Opium die Farbwahrnehmung verändert - ergänzt durch Zitate von Schriftstellern wie Novalis, Georg Trakl oder Baudelaire, die ihre Erfahrungen mit Farbintensitäten unter Opium-Einfluss beschreiben.

Als Rauchware kam die »braune Fee« aus Asien mit chinesischen Einwanderern, Kolonialbeamten und Seeleuten nach Europa und schaffte den Aufstieg bis in Adelshäuser, Bürgersalons und Künstlerkreise. Eine eindrucksvolle »Wall of Fame« nennt mehr als 50 Namen berühmter Opiumkonsumenten - von König Ludwig II. von Bayern über Anette von Droste-Hülshoff und Heinrich Heine bis hin zu Ernst Jünger und Pablo Neruda.

Im lesenswerten Begleitkatalog erfährt man von der Doppelrolle der Drogenkontrollpolitik: England führte als Kolonialmacht zwei Kriege, um China die Segnungen von Opium und Freihandel aufzuzwingen. Als später Opium in der westlichen Welt als »Teufelsdroge« verdammt wurde, steckte dahinter weniger die Sorge um die Süchtigen als vielmehr politisches Kalkül: Die ersten Verbote in den USA ab 1875 richteten sich ausschließlich gegen das Chandu, das traditionelle Rauchopium chinesischer Einwanderer. Die Arbeitsmigranten waren zum Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinien in die USA gekommen. Nach der Fertigstellung galten sie als unwillkommene Arbeitsmarktkonkurrenz. Die Opiumprohibition half, das Bild von der »gelbe Gefahr« zu beschwören. Die Frage, wann und warum Opiatekonsum zur Sucht wird, spart die Schau aber aus - vielleicht hätte sie den Rahmen gesprengt.

Als Opiumanbau zu nichtmedizinischen Zwecken 1961 von der UNO weltweit verboten wurde, geschah das aus gutem Grund: Opiate - insbesondere Heroin - können schwer süchtig machen: Im China des 19. Jahrhundert war nahezu jeder zwanzigste Einwohner opiumsüchtig. In Europa gibt es heute ca. 1,4 Millionen Abhängige von Opiaten. Eine packende Schwarzweiß-Fotoserie des italienischen Fotografen Alessandro Scotti berichtet zum Schluss, wie sich der weltweite Opium-Schattenmarkt auf die Anbauländer auswirkt: Ein afghanischer Drogenbauer dankt vor blühenden Mohnfeldern Gott für die gute Ernte - in seiner Heimat leben Hunderttausende Bauern und Wanderarbeiter vom Opiumanbau. Andere Fotos zeigen verelendete Süchtige, verzweifelte Gefängnisinsassen in Afghanistan und Myanmar und Szenen von Militäraktionen gegen Drogenanbau und -schmuggel. Kuratorin Buddenberg macht keinen Hehl daraus, dass sie der Prohibition skeptisch gegenübersteht und verweist auf die Erfahrungen mit Drogen wie Alkohol, Kaffee oder Tabak, die - je nach Land, Epoche und Mode - mal akzeptiert, mal verteufelt wurden: »Es gab Länder, in denen stand die Todesstrafe auf Tabakrauchen! Ich halte die Legalisierung für eine historische Kraft, die kommen wird und die bestehenden Kontrollsysteme in Frage stellen wird. Ob das dann die Probleme löst, ist eine andere Frage.« Buddenbergs Schau ist ein mutiger, sehenswerter Aufriss des facettenreichen Themas.

»Opium«, bis 26.1.2016 im Basler Museum der Kulturen. Im Christoph Merian Verlag Basel ist ein reich bebilderter Begleitkatalog erschienen.

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