Zwei Jahre Schweigen

Seit Mai 2013 läuft der NSU-Prozess, doch die Hauptangeklagte will immer noch nicht reden

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor zwei Jahren begann der NSU-Prozess in München. Auch wenn Beate Zschäpe beharrlich schweigt, habe das Verfahren viele neue Erkenntnisse gebracht, meint Opferanwalt Peer Stolle.

Eine wahre Hysterie hatte die deutschen Medien im Frühjahr 2013 erfasst, als der Prozess gegen das überlebende Mitglied des NSU-Terrortrios in München begann. Der Streit um die wenigen für die Presse reservierten Plätze wurde so heftig geführt, dass das Gericht den Prozessbeginn um drei Wochen verschieben musste. Seit dem Auftakt am 6. Mai 2013 hat sich das Medieninteresse deutlich abgekühlt. Wenn derzeit überhaupt berichtet wird, dann oft nur über den Gesundheitszustand der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Die mittlerweile 40-Jährige wirkt angegriffen. Vor allem das selbst auferlegte Schweigen vor Gericht mache ihr zu schaffen, schreibt der Münchner Psychiater Norbert Nedopil in einem Gutachten, das die Nachrichtenagentur dpa öffentlich machte. In persönlichen Gesprächen mit dem Psychiater hatte die Angeklagte eingeräumt, das Schweigen zunehmend als »belastend« zu empfinden. Die totale Aussageverweigerung gehört aber zur Taktik von Zschäpe und ihrem Anwaltsteam. Aber hält sie das durch?

Am vergangenen Donnerstag erklärte Verteidiger Wolfgang Heer, seine Mandantin sei nicht verhandlungsfähig. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ließ die mutmaßliche Terrorhelferin untersuchen. Der hinzugezogene Arzt diagnostizierte »ausgeprägte psychophysische Beeinträchtigungen« mit Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden. Daraufhin brach Richter Götzl den Verhandlungstag ab.

Rechtsanwalt Peer Stolle, der den Sohn des vom NSU ermordeten Mehmet Kubasic als Nebenkläger vertritt, sieht Ermüdungserscheinungen bei Zschäpe. »Das ist bei einer Verhandlungsdauer von nunmehr zwei Jahren und etwa dreieinhalb Jahren Untersuchungshaft auch nicht verwunderlich«, unterstreicht Stolle im »nd«-Gespräch. Bereits im April hatte der Senat die wöchentlichen Verhandlungstage von drei auf zwei reduziert. Doch egal, in welchem Takt zukünftig verhandelt wird - Zweifel daran, dass Zschäpe von den Morden wusste, bestünden nicht, meint Stolle. »Vor allem die Brandlegung in der Frühlingsstraße und das Verschicken der DVD belasten sie vor Gericht stark«. Zschäpe hatte nach dem Auffliegen der Terrorzelle die gemeinsame Wohnung in einem Zwickauer Mehrfamilienhaus angezündet und damit den Tod einer gehbehinderten Nachbarin in Kauf genommen. Zudem gilt es als erwiesen, dass die Angeklagte 15 Exemplare des NSU-Bekennervideos während ihrer Flucht nach dem mutmaßlichen Selbstmord ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verschickt hatte.

Auch wenn viele Fragen bislang unbeantwortet blieben, habe der Prozess einiges ans Licht gebracht, meint Stolle. So sei »der institutionelle Rassismus, der die gesamten Ermittlungen zu den Morden und Anschlägen durchzog«, vor Gericht thematisiert worden. »Zudem mussten auf unsere Anträge hin eine Vielzahl von V-Leuten, die im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes und des NSU aktiv waren, gehört werden. Das staatliche Wissen über den Weg des Trios und der Umgang des Staates damit wurde so zum Thema« betont Stolle.

Wie einige andere Nebenkläger auch bezweifelt Stolle, dass der NSU nur aus drei Personen bestand. »Als gesichert kann gelten, dass das Blood-and-Honour-Netzwerk in Chemnitz dem Trio beim Untertauchen geholfen hat. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass dessen Mitglieder von den Plänen des Trios wussten und sie unterstützten.«

Das internationale Blood-and-Honour-Netzwerk hat sich dem Ziel der »Erhaltung der weißen Rasse« verschrieben und dabei stets den »führerlosen Partisanenkampf« in autonom operierenden Zellen propagiert. »Dass Mundlos und Böhnhardt mit Carsten S. darüber gesprochen haben, dass sie bewaffnet sind, sich durch Banküberfälle finanzieren und Anschläge begehen, spricht dafür, dass auch die Chemnitzer Unterstützer von den Zielen des NSU wussten«, erläutert der Jurist. Denn den früheren NPD-Funktionär Carsten S. kannte das Trio nur flüchtig. »Wenn sie sich gegenüber Carsten S. schon so offen zeigten, dann müssen jene Helfer, die ihnen näher standen, gewusst haben, was die drei Untergetauchten treiben«, glaubt Stolle.

Der Nebenkläger vermutet, dass es an den Tatorten ein »wie auch immer geartetes Unterstützernetzwerk gegeben haben muss«. Die Auswahl der Tatorte könne nicht allein durch Ortsfremde erfolgt sein. Für Stolle ist auch klar, dass man die Terrorgruppe schon viel früher hätte schnappen können. Die »Erkenntnisdichte« zu dem Unterstützer-Netzwerk und dem Aufenthalt des Trios in Chemnitz nach dessen Untertauchen sei so hoch, »dass es keinen Grund zu der Annahme gibt, die hätten nicht schon in dem ersten Jahr ihres Untertauchens gefunden werden können«. Warum sie trotzdem nicht geschnappt wurden, »ist eine andere Frage.«

Eine Frage, deren Beantwortung wohl nicht im Interesse staatlicher Geheimdienste liegt. »Es werden ja nicht nur Akten zurückgehalten, es wurden ja auch Akten vernichtet. Und es tauchen immer wieder neue auf«, beschwert sich Stolle. Zudem stünden nur ausgewählte Deckblattmeldungen über Treffen von V-Mann-Führern mit ihren V-Männern zur Verfügung, »soweit sie Informationen über den NSU enthalten«. Ob das alle Berichte sind, die das Trio und das Unterstützer-Netzwerk betreffen, könne die Nebenklage daher nicht einschätzen. Stolle fordert deshalb, alle Akten derjenigen V-Personen, Informanten und Gewährspersonen, die über den NSU und die Unterstützer berichtet haben, »vollständig, ungeschwärzt und nicht als geheim eingestuft vorzulegen«.

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