Die 13 ist ’ne Glückszahl!

125 Leser schrieben Geschichten zum Wettbewerbsthema »Wenn alle Wege offen sind«, den zehn schönsten gaben Martina Schnabel und Volkmar Witt ihre Stimme. Von Heidi Diehl

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.

Auch wenn die Technik anfangs nicht so richtig mitspielen wollte - die Mikrofone pfiffen und der Beamer streikte komplett - steht für nd-Geschäftsführer Olaf Koppe fest: »Die 13 ist ’ne Glückzahl.« Und er meint damit, dass der 13. nd-Lesergeschichten-Wettbewerb unter dem Motto »Wenn alle Wege offen sind« so eine Fülle von guten und sehr guten Geschichten brachte, dass die Jury bei der Auswahl der zehn Vorzulesenden aus dem Vollen schöpfen konnte. »Der musste die Entscheidung für oder gegen eine Geschichte ja auch nicht fällen«, murmelte ein Jurymitglied vor sich hin, als Olaf Koppe seine Begeisterung über das Ergebnis des Wettbewerbs am Mittwochabend zur Eröffnung der Abschlussveranstaltung im Münzenbergsaal des nd-Gebäudes zum Ausdruck brachte. Denn für die Jury galt das Motto des Wettbewerbs leider nicht: Ihr standen nicht alle Wege offen, sie musste sich irgendwann für zehn aus 125 entscheiden. Und das war wirklich schwierig.

Doch am Ende hatte sich die Qual der Wahl gelohnt. Das jedenfalls war der Grundtenor der rund 80 Gäste im Saal. Sie freuten sich mit den »Helden« der Geschichten über Erfolge, sie litten mit ihnen über Schicksalsschläge, amüsierten sich über Komisches oder empörten sich über Ungerechtigkeit und Fremdenhass.

Dass dieses Wechselbad der Gefühle so perfekt funktionierte, ist auch den beiden Vorlesern, den Schauspielern Martina Schnabel und Volkmar Witt zu verdanken, die jeder einzelnen Geschichte unverwechselbares Leben einhauchten. Das taten sie mit großem Feingefühl und verstanden sich dabei blind. Zum Beispiel als Martina Schnabel die witzige Geschichte von Werner Riebel aus Jena, »Mein Weg in die Muskelkirche«, vorlas, die davon erzählt, welche Abenteuer der Autor als junger Mann in nur 22 Stunden erlebte, die ihm blieben, um zu einer Aufnahmeprüfung vom Norden der DDR in den Süden zu gelangen - ohne Geld, dafür mit so mancher Notlüge und Peinlichkeit. Sehr amüsant! Als sie fertig mit Lesen war, griff Volkmar Witt ihre Hand und schaute sie kurz an, um zu signalisieren: Ich geb den Zuhörern erst mal ’ne kleine Pause, bevor ich mit der nächsten Geschichte weitermache, denn die ist alles andere als amüsant.

»Der Jungbrunnen« hatte Rosel Ebert aus Berlin diese genannt. Darin erzählt sie die Geschichte einer jungen Frau, die gleich mehrfach vom Schicksal hart angefasst wurde und deren Leben zuletzt nur noch ein Stammzellspender retten konnte. Nach jahrelangen Rückschlägen bekommt sie nicht nur die lebensrettende Transplantation, sondern lernt auch die Zellspenderin kennen und findet in ihr eine Seelenverwandte. »An dieser Geschichte ist nichts erfunden«, erzählte die Autorin, »ich habe sie in der eigenen Familie erlebt. Ich wollte mit dieser Geschichte einmal all jenen Menschen Dank sagen, die durch eine Typisierung uneigennützig anderen helfen und ihnen so das Leben retten. Deswegen freu ich mich ganz besonders, dass meine Geschichte es unter die ersten zehn geschafft hat, denn so haben mehr Menschen davon erfahren.«

Auch Eva Hahm aus Berlin drängte es regelrecht, ihre Geschichte »Ménage à quatre - glücklich zu viert« aufzuschreiben. »Eher zufällig erfuhr ich von der jungen Frau und ihrer Familie, die nach dem schweren Unfall ihres Mannes, der seitdem geistig und körperlich schwerstbeschädigt an den Rollstuhl gefesselt ist, zu neuem Lebensglück und Lebensmut fand. Ich musste das unbedingt aufschreiben und freu mich sehr über die überwältigende Resonanz«, sagte sie, nachdem die Zuhörer ihre Geschichte auf Platz 3 gewählt hatten. Beifall aus dem Saal für die Platzierung, doch noch mehr Beifall bekam Eva Hahm, als sie ihren Preis, eine dreitägige Reise für zwei nach Dresden, der Heldin ihrer Geschichte mit den Worten überreichte: »Ihr gehört der Preis, sie hat sich diese kleine Auszeit mehr als verdient.«

Svenja Grütt aus Kromsdorf ist mit ihren 16 Jahren die Jüngste, die es jemals unter die ersten Zehn geschafft hat. »Spiel des Lebens« nannte sie ihre Geschichte, ein fiktives Streitgespräch, das sie mit ihrer Pubertät führt. Nicht nur, dass man auf so ein Thema erst mal kommen muss, vor der Art, wie Svenja es gemeistert hat, kann man wirklich nur den Hut ziehen: Ein großes Talent hat sich der schreibenden Zunft empfohlen! Und genau da sieht die Elftklässlerin ihre berufliche Zukunft. Mit ihrer Geschichte hat sie auch das Publikum im Saal überzeugt, nach Auszählung aller Punkte konnte sich Svenja über den zweiten Platz und einen Segeltörn auf dem Ijsselmeer freuen.

Von einer ganz besonderen Freundschaft zwischen einem Sudanesen und einem Rostocker, die vor 47 Jahren begann und alle Stürme der Zeit unbeschadet überstand, erzählt »Blutsbrüder« von Jochen Zimmermann aus Rostock - es ist seine Geschichte und die von Ali Rahman. Die Blutsbrüderschaft begann mit einem Dolch, den der junge Sudanese Zimmermann als Dank überreichte, weil der Rostocker, 1968 Referent für Studienfragen an der Uni seiner Heimatstadt, dem ins Visier der bundesdeutschen Verfassungsschützer geratenen Studenten solidarisch half. Heute leben Ali Rahman und seine sächsische Frau, die beide Ärzte geworden sind, im Schwarzwald. Die außergewöhnliche Freundschaftsgeschichte wählten die Gäste des Abends mit großer Mehrheit auf Platz 1. Nicht nur darüber und eine Dreitagsreise nach Fulda freute sich Jochen Zimmermann. »Ich werde Ali, der heute Geburtstag hat, gleich anrufen und ihm davon erzählen«, sagte er. Na, ein besseres Geschenk hätte er sich nun wirklich nicht für seinen Blutsbruder ausdenken können!

Wer nun bedauert, diesmal nicht selbst dabei gewesen zu sein, weil er keine Zeit hatte oder weil ihm der Bahnstreik einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, kann trotzdem ein bisschen von der Atmosphäre schnuppern und erleben, wie es sich anhört, wenn die schönsten Geschichten von Profis geadelt werden. Kochen Sie sich einen Kaffee, Tee oder gießen Sie sich ein Glas Wein ein, machen Sie es sich gemütlich, klicken Sie im Internet dasND.de/lesergeschichten an und genießen Sie die zehn schönsten Geschichten des 13. nd-Lesergeschichten-Wettbewerbs. Außerdem können Sie diese am 5. Juni in einer Sonderbeilage des »nd« nachlesen. Vielleicht weckt das ja auch schon Vorfreude auf den 14. Wettbewerb im nächsten Jahr.

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