»Mithilfe zum Streikbruch«

Scharfe Debatte zu Sonntagseinsatz im Poststreik im hessischen Landtag

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Im unbefristeten Arbeitskampf bei der Deutschen Post werben ver.di-Aktivisten gegenüber Politik und Öffentlichkeit um Solidarität und Unterstützung. Bei den meisten Parteien stoßen sie auf taube Ohren.

Am Donnerstag verfolgten Streikende aus Wiesbaden und Limburg live im Hessischen Landtag eine von der Linksfraktion beantragte Aktuelle Stunde zum Thema »Solidarität mit den Streikenden der Deutschen Post AG - keine Genehmigung von Sonntagsarbeit«. Dabei verwies Fraktionschefin Janine Wissler auf milliardenschwere Jahresüberschüsse des Postkonzerns. Sie kritisierte den vom Postmanagement angeordneten Streikbrucheinsatz von über 11 000 HelferInnen am vergangenen Sonntag, darunter auch Taxifahrer, die dem Vernehmen nach mit 50 Cent pro zugestelltes Paket vergütet wurden.

Das Arbeitszeitgesetz nenne strikte Ausnahmen für das Sonntagsarbeitsverbot, etwa für Verkehrsbetriebe oder den Transport leicht verderblicher Waren. Die Post sei aber kein Verkehrsbetrieb und Briefe und Pakete nicht leicht verderblich, sagte Wissler. Daher müsse das von der Grünen-Politikerin Brigitte Lindscheid geführte Regierungspräsidium Darmstadt als Aufsichtsbehörde eingreifen und die Sonntagsarbeit untersagen. Wissler erinnerte daran, dass Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) die ohne Beantragung durchgeführten sonntäglichen Streikbruch-Sondereinsätze als ungesetzlich bezeichnet und angekündigt hatte, eventuelle Anträge der Post auch nicht zu bewilligen. Das Regierungspräsidium Darmstadt verteidige hingegen ohne Prüfung die Sonntagsarbeit und argumentiere im Sinne der Postmanager, man könne die Post zu Streikzeiten nicht durch Kontrollen zusätzlich belasten. »Das ist Mithilfe zum Streikbruch und ein Eingriff in die Tarifautonomie«, so die Abgeordnete.

Während auch SPD-Mann Wolfgang Decker das Gebaren des Postvorstands scharf kritisierte und den Streik begrüßte, bezogen Sprecher der schwarz-grünen Koalition und FDP andere Standpunkte. Sie bekannten sich zur »Tarifautonomie« und zu »strikter Neutralität des Staats« im Arbeitskampf. »Sie haben sich ein untaugliches Thema ausgesucht und den Streikenden einen Bärendienst erwiesen«, so Irmgard Klaff-Isselmann (CDU). Sie verteidigte »das Recht der Post, sich Alternativen zu überlegen« und forderte ein Ende des Streiks. »Es war mal Konsens in diesem Haus, dass wir uns nicht an Unternehmensentscheidungen zu beteiligen haben«, so FDP-Mann Jürgen Lenders. »Der Staat bleibt neutral«, meinte Marcus Bocklet (Grüne). Wenn Wissler sage, der Post gehe es finanziell gut, »dann geht das zu weit«.

»Einfach lächerlich«, kommentierte eine streikende Zustellerin die Ausführungen von CDU, Grünen und FDP. »Ich bin schockiert über das Desinteresse an unserem Kampf. Die haben sich rausgewunden«, so ein Kollege. Seit Wochen argumentieren hessische ver.di-Aktivisten, dass der Bund mit 21 Prozent Anteil als größter Einzelaktionär der Post und zwei Aufsichtsratsmitgliedern den Konfrontationskurs von Konzernchef Frank Appel beenden könnte, wenn er nur wollte.

Bereits am Dienstag hatten Streikende im benachbarten Mainz Kontakt zur rheinland-pfälzischen Landespolitik gesucht. Bei einer Kundgebung gab sich SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer solidarisch mit dem Arbeitskampf. Auf Post-Sonntagsarbeit und die Rolle der Aufsichtsbehörden im rot-grün regierten Rheinland-Pfalz angesprochen, versprach der Sozialdemokrat, er wolle der Frage nachgehen. Die kurzfristig herbei geeilte CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Julia Klöckner beließ es bei unverbindlicheren Aussagen und bezeichnete zum Verdruss der Gewerkschafter die Arbeitsbedingungen von Postbeamten und älteren Tarifkräften als »Privilegien«. »Unfair, dass sie mich das fragen«, reagierte die CDU-Frau auf die nd-Nachfrage, ob sie schon ihren Parteikollegen und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf seine federführende Rolle als Verwalter von 21 Prozent der Postaktien angesprochen habe, und entfernte sich rasch vom Kundgebungsort.

Viele Postler haben nicht vergessen, dass neben CDU und FDP auch die Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz und Hessen ihren Anteil an der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hat. So stellte 1994 der damalige Mainzer Ministerpräsident und SPD-Bundeschef Rudolf Scharping die Weichen für die Zustimmung der SPD zur für die Privatisierung erforderliche Grundgesetzänderung. Hessens damaliger Regierungschef Hans-Eichel (SPD) wurde 1999 Bundesfinanzminister und war 2000 federführend für den Börsengang der Deutschen Post AG verantwortlich.

Der nordrhein-westfälische ver.di-Sekretär Frank Indervoort bestätigte gegenüber »nd«, dass viele prekär Beschäftigte und Postler ohne Kündigungsschutz »nicht ganz freiwillig« an den jüngsten Sonntagseinsätzen teilgenommen hätten. Etlichen habe man einen Briefumschlag mit einem 100-Euro-Schein oder Tankgutschein ohne Quittung und dem höchst umstrittenen Verweis in die Hand gedrückt, dass Sonntagsarbeit in einem Verkehrsunternehmen gemäß Arbeitszeitgesetz zulässig sei. »Das könnte möglicherweise Anstiftung zu Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug sein und kein Kavaliersdelikt mehr«, so der Gewerkschafter.

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