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Medienschlager Trümmerfrau

Wie aus den Bauhilfsarbeiterinnen eine »betrogene Generation« wurde. Von Regina Stötzel

»Trümmerfrau« von Katharina Singer in der Berliner Hasenheide
»Trümmerfrau« von Katharina Singer in der Berliner Hasenheide

Im Spätfrühling sollte man das Trümmerfrauen-Denkmal in der Berliner Hasenheide besser nicht aufsuchen. Der Baum daneben ist voller Eichenprozessionsspinner, die ihn mit einem dicken Netz überzogen haben und die Schleimhäute reizen. »In Dankbarkeit den Berlinerinnen gewidmet, die nach dem 2. Weltkrieg als ›Trümmerfrauen‹ die Trümmer der zerstörten Stadt beseitigten und damit ihren Wiederaufbau begründeten«, steht vor der Skulptur einer kräftigen sitzenden Frau mit rundem Rücken, geschaffen 1955 von Katharina Singer. Eine Stola über den Schultern, klobige Schuhe an den Füßen, den Hammer im Schoß: So stellt man sich jene vor, die den Trümmerschutt wegräumten wie die Teller der Familie vom Küchentisch. Nicht so leicht, aber so selbstverständlich.

Allein in Berlin waren Schätzungen zufolge 55 Millionen Kubikmeter Schutt wegzuschaffen; ein Berg vom Format des Matterhorns hätte damit errichtet werden können. Bei Arbeitseinsätzen zur Trümmerbeseitigung nach Kriegsende waren bis 26 000 Frauen in Berlin im Einsatz, zeitweise dreimal so viele Frauen wie Männer. Dennoch haben Forschungen ergeben, dass zwischen dem heutigen Bild von den Trümmerfrauen und der historisch nachweisbaren Realität eklatante Unterschiede festzustellen sind.

So waren auch 26 000 Berlinerinnen kaum mehr als fünf Prozent der Altersgruppe von 20 bis 39 Jahren. Bereits 1946 waren Frauen gegenüber Männern nicht mehr in der Überzahl. Die Arbeitseinsätze erfolgten selten freiwillig, sondern waren in der Regel vom Arbeitsamt angeordnet und, wenn auch bescheiden, bezahlt. Ebenso mit der Trümmerbeseitigung beschäftigt waren zwangsverpflichtete NSDAP-Mitglieder, deutsche Kriegs- und zivile Strafgefangene sowie vor allem professionelle Bauunternehmen. In den drei westlichen Besatzungszonen, wo weniger demontiert wurde, waren deutlich mehr Maschinen und weniger Menschen im Einsatz. Dort wurden auch viel seltener Frauen zum Räumen herangezogen. Allenfalls in Berlin und einigen anderen ostdeutschen Städten kann man daher von »Trümmerfrauen« in dem Sinne sprechen, wie das Wort zuerst verwendet wurde: für eine auffällige Zahl an weiblichen, meist ungelernten Bauhilfsarbeitskräften.

Dies arbeitete Leonie Treber in ihrer Studie »Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes« (Klartext Verlag) heraus und erhielt dazu sehr unterschiedliche Reaktionen. »In der Fachwelt bekomme ich durchweg positive Resonanz. Anders ist es mit Zuschriften aus der breiten Öffentlichkeit, die auf die sehr verkürzte Darstellung meiner Arbeit in den Medien reagieren - hier wird die Neubewertung der Rolle der ›Trümmerfrau‹ meist heftig kritisiert. Die Zuschriften sind meist unsachlich und nicht selten beleidigend. Besonders häufig bekomme ich Zuschriften von Männern und Frauen der sogenannten Kriegskindergeneration. Sie sehen die Lebensleistung ihrer Mütter durch die Entmythologisierung der ›Trümmerfrau‹ verraten.«

Dass man sich den »Erinnerungsort« nicht wieder wegnehmen lassen will, zeigte sich zuletzt in München. Nachdem die Landtagsabgeordneten Sepp Dürr und Katharina Schulze (Grüne) dem dort erst 2013 aufgestellten Denkmal einen braunen Sack mit der Aufschrift »Den Richtigen ein Denkmal, nicht den Altnazis!« übergezogen hatten, erhielten sie zahlreiche Drohungen und Beleidigungen. Dabei hatten Recherchen des Stadtarchivs München ergeben, dass dort neben Baufirmen nur 1500 Personen in der Trümmerräumung tätig waren, davon 200 Frauen. Die 1500 waren zu 90 Prozent Nazis. Fragen des Umgangs mit der NS-Geschichte seien nicht endgültig geregelt, sagt Dürr, sondern müssten »von jeder Generation neu ausgekämpft und gegen spontane wie organisierte vordemokratische Um-Interpretationsversuche verteidigt« werden. »Dabei hat sich einerseits gezeigt, wie bereitwillig die Enkel-Generation an die relative ›Unschuld‹ bzw. das lupenreine ›Heldentum‹ von Opa und Oma glauben will; andererseits wie schlagkräftig und wie sehr bereit zum Zuschlagen die Neonazi-Szene in den Social Media ist«, so Dürr weiter.

Für das damals neuartige Phänomen von Frauen in Berlin, die auf den Straßen Schwerstarbeit verrichteten - Arbeit auf dem Bau war für sie bis Juli 1946 offiziell verboten -, mussten Rollenvorbilder geschaffen werden, schreibt Treber. Hinzu kam, dass die Frauen, die die Arbeit zwar nicht freiwillig, aber auch nicht als Strafmaßnahme verrichteten, von den »Nazi-Weibern« abgegrenzt werden sollten. Das Thema avancierte zum Medienschlager in den neu zugelassenen Zeitungen und Frauenzeitschriften. Während Bauhilfsarbeiterinnen ihre Arbeit als das benannten, was sie war - »eine harte und schmutzige Arbeit, die sie nur ergriffen hatten, weil sie keine andere Wahl gehabt hatten« -, wurde in Artikeln über sie »das Bild von den Frauen, die selbstlos, ja nahezu engelsgleich mit ihren Eimerketten mit dem Wiederaufbau begannen« (Treber) gezeichnet. Im Jahr 1946 taucht der Begriff »Trümmerfrauen« in der Berliner Presse auf, in den westlichen Besatzungszonen dann zwei Jahre später.

Bezeichnend ist, dass sich in der Folge in der DDR und BRD zwei widersprüchliche Bilder von Trümmerfrauen entwickelten, jeweils passend zum System, was sich schon an den Denkmälern ablesen lässt. Im Gegensatz zur beschriebenen Skulptur im Westbezirk Neukölln stellt Fritz Cremers »Aufbauhelferin« (1956/58) in Berlin-Mitte eine junge, aufrechte Frau in Arbeiterinnenkluft dar, die ihre Schaufel lässig geschultert trägt.

Es ist der Selbstmord von Ruth-Silvia Niendorf am 9. Juli 1987 im Alter von 66 Jahren, den der Senioren-Schutzbund Graue Panther in der BRD zum Anlass für einen inoffiziellen Trümmerfrauen-Gedenktag nimmt. Niendorf, »Musterbeispiel einer Berliner Trümmerfrau« (B.Z.), wusste nach einer Mieterhöhung von ihren 700 D-Mark Rente nicht mehr zu leben. Zwei Jahre zuvor schon hatten die Seniorinnen als Trümmerfrauen verkleidet in Bonn dagegen demonstriert, dass Frauen der Jahrgänge bis 1921 keine Babyjahre für die Rente angerechnet werden sollten. Damit seien »wir ›Trümmerfrauen‹ wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgekehrt«, heißt es in der Einleitung des von Trude Unruh herausgegebenen Buchs »Trümmerfrauen. Biografien einer betrogenen Generation«. Die Gründerin des Senioren-Schutzbundes versammelt darin dramatische Lebensgeschichten von Frauen, die sich nach dem Krieg unter schwersten Bedingungen durchschlugen und ihre Familien versorgten - aber längst nicht alle Steine klopften. »Trümmerfrauen« sind nunmehr schlicht die Frauen bestimmter Jahrgänge, unabhängig von ihrer genauen Tätigkeit und politischen Vorgeschichte.

Die allgemeine Betonung der Schicksale deutscher Frauen und Mütter macht möglich, was Leonie Treber als »eine letzte Neuschattierung der ›Trümmerfrauen‹-Erinnerung« feststellt: die Vereinnahmung des Themas durch rechtsnationale Gruppierungen. So fragte etwa der NPD-Ortsverband 2008 in Frankfurt am Main nach, wie die Stadt ihren Trümmerfrauen danke. Die Stadtverwaltung lehnte »eine Gedenktafel zur ausschließlichen Würdigung von Trümmerfrauen« mit der Begründung ab, dass dies »kein sachgerechtes Bild der historischen Realität ergeben würde«.

Ohne es zu beabsichtigen, schreibt Treber, hätten Vertreterinnen der Kriegskindergeneration »mit ihrer ahistorischen Deutung der scheinbar unbefleckten und intrinsisch motivierten ›Trümmerfrau‹, die die Trümmer beiseite räumte, die der Krieg der ›bösen Männer‹ hinterlassen hatte, … letztlich mit dazu beigetragen, dass diese Vereinnahmung möglich wurde«. Ein guter Grund, sich kritisch und wissenschaftlich mit dem Gegenstand zu beschäftigen, wie es Treber getan hat - ohne eine einzige Lebensleistung zu schmälern. »Vielmehr zeige ich auf«, so Treber, »dass deutsche Frauen sehr viel weniger zur Trümmerräumung beitrugen als gemeinhin angenommen und dass deutsche Frauen, die in irgendeiner Weise das schwere Leben in der Nachkriegszeit meisterten, in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ›Trümmerfrauen‹ genannt wurden. Dieser Bedeutungsinhalt wurde dem Begriff der ›Trümmerfrau‹ erst in den 1980er Jahren eingeschrieben.«

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