Isch ’abe gar kein Auto!

Von Jürgen Amendt

  • Lesedauer: 2 Min.

In unserer Straße ist derzeit der Teufel los. Gut, viel los ist dort immer, wie regelmäßige Leser dieser Kolumne wissen. Die Eckensteher vor dem Spätverkauf bei meinem vietnamesischen Nachbarn gegenüber unterhalten oft und gern die Nachbarschaft mit Anekdoten aus ihrem bewegten Leben, die Bewohner des kleinen Lichtenberger Viertels, die morgens partout meinen, mit dem eigen Auto zur Arbeit fahren zu müssen, kann man dabei beobachten, wie sie verzweifelt abends nach einem Parkplatz in der Nähe ihrer Wohnung suchen; das Auto meines Nachbarn, der im Erdgeschoss wohnt habe ich kürzlich in Friedrichshain entdeckt. Auch die polnischen Bauarbeiter, die spät abends nebenan vor der Tür zusammensitzen, um ihr Feierabendbier zu genießen, haben sich viel mitzuteilen. Leider verstehe ich kein Polnisch, kann also hier nichts über die Inhalte der gepflegten spätabendlichen Konversation berichten.

Ob die Herren aus unserem wunderbaren Nachbarland der gleichen Leidenschaft wie ich frönen, weiß ich daher nicht. Ausgeschlossen ist es aber nicht. Denn, wie gesagt, seit einigen Tagen herrscht in unserer Straße Hochbetrieb. Anlass ist die Baustelle in der Straße. Vattenfall reißt derzeit Meter für Meter der Straße auf, um dort irgendetwas aus- und wieder einzubuddeln. Für die Autofahrer, die unser Wohngebiet in der anmaßenden Absicht durchqueren, die verwinkelten Wege durch den Viktoriakiez seien als Abkürzung zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen gebaut worden, ist seit Kurzem an der Straßenecke vor unserem Haus Schluss. Eine Absperrbake signalisiert: Halt, bis hierher und nicht weiter! Damit sich die lieben Autofahrer nicht umsonst auf den Weg in unsere Straße machen, wurde an der nächstgelegenen Einmündung ein Sackgassen-Schild aufgestellt.

Eigentlich müsste das Hinweis genug sein, dass ein Abbiegen in unsere beschauliche Wohnstraße vergebens ist. Ist es aber nicht. Immer wieder rauschen offenbar schilderblinde Bolidenlenker heran und müssen umständlich zwischen den geparkten Autos wenden. Abends, wenn es die erlebnishungrigen Randberliner, für die eine Fahrt mit der S-Bahn einem Rückfall in die Zwangskollektivierung des Sozialismus zu DDR-Zeiten gleichkommt, Richtung Szenekiez in Friedrichshain zieht, ist es besonders voll vor unserem Balkon.

Um das Schauspiel unterhaltsamer zu gestalten, haben meine Frau und ich ein kleines Tippspiel ins Leben gerufen. Jeden Abend raten wir zusammen mit unseren Nachbarn, wie viele Autos innerhalb von 15 Minuten in die Falle tappen. Wessen Tipp der tatsächlichen Zahl am nächsten kommt, gewinnt für den nächsten Tag den Parkplatz desjenigen, der am Ende der Tipp-Liste rangiert.

Ich bin da glücklicherweise fein raus, denn: Isch ’abe gar kein Auto!

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