Scheitern wird wieder zum Antrieb

Ein Jahr lang hemmte der WM-Titel den deutschen Fußball. Die neue Saison wird besser

Am Montag jährte sich der Sieg im Maracanã zum ersten Mal. Über Lust und Last des Weltmeisters.

Hans Meyer hat den Fußball bereichert - weniger als Spieler, schon sehr viel mehr als Trainer, aber vor allem als Mensch. Einer seiner, oft beiläufig gefallenen, Sätze wurde von der Deutschen Akademie für Fußballkultur im Jahr 2007 zum Fußballspruch des Jahres gewählt: »In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball doch immer das Gleiche.« Auf das reine Spiel reduziert, sind es die Versuche, ein Tor zu erzielen und einen Gegentreffer zu vermeiden.

Sollten sich die zwei Mannschaften nicht gerade unentschieden trennen, was statistisch der seltenste Ausgang eines Fußballspiels ist, gibt es nach jeder Partie einen Sieger und einen Verlierer. Titel aber gewinnen nur die wenigsten. Aber nicht deshalb ist »das Scheitern für den Fußball konstitutiv«, wie Sportphilosoph Gunter Gebauer meint. Sondern weil die Diskrepanz zwischen Aufwand und Erfolgserlebnis - dem Toreschießen - in keiner Mannschaftssportart größer ist.

Zu jeder Regelmäßigkeit gehört auch ihre Ausnahme. Am Montag stand der WM-Pokal in Barsinghausen. Auch wenn der Niedersächsische Fußball-Verband dort seinen Sitz hat und der Deutsche Fußball-Bund mit seinen Nationalmannschaften ein gern gesehener Gast im Sporthotel Fuchsbachtal ist - auf den Tag genau ein Jahr nach dem Triumph im Maracanã glänzte die begehrteste Trophäe in der Fußballprovinz. Der Bezirksligist TSV Barsinghausen ist das Aushängeschild der 33 000-Einwohnerstadt. Immerhin: Ein Weltmeister war auf der 35. Station der DFB-Ehrenrunde dabei. Aber Ron-Robert Zieler, der beim Turnier in Brasilien dritter Torwart war, hatte es ja auch nicht weit. Kaum länger als eine halbe Stunde fährt man von Hannover nach Barsinghausen. Viel verpasst hat der 96-Keeper von der Saisonvorbereitung nicht.

Um auf Hans Meyer und Gunter Gebauer zurückzukommen: Der WM-Pokal ist die Ausnahme. Der Weltmeisterschaftsgewinn ist weder alltägliche Wiederholung noch Scheitern. Es ist der Höhepunkt. Und was kommt danach? Es kam eine leidenschaftslose Saison. Die Erfüllung vernebelte lange die Köpfe und lähmte die Körper. Nach der WM war Joachim Löw mit durchschnittlich 2,24 Punkten der erfolgreichste Trainer in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft. Aus den zehn Spielen nach dem Turnier holte er 1,4 Punkte.

In der Bundesliga stürzte Borussia Dortmund ab. Weltmeister Mats Hummels gab hernach zu, seine schlechteste Saison für den BVB gespielt zu haben. Der FC Bayern stagnierte. Meisterschaften markieren in München längst mehr das Saisonende als den Höhepunkt - der hat sich auf die internationale Ebene verschoben. Und genau dort bekam der Rekordmeister mit Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Thomas Müller oder Jérôme Boateng seine Grenzen aufgezeigt.

»Götz sei dank!« Diesen glorifizierenden Spruch gibt es seit einem Jahr - auch als großen Aufkleber für das Autoheck. Mario Götze ist das wohl anschaulichste Beispiel für die Entwicklung eines WM-Helden. Weil er das Finaltor geschossen und damit, wie von Löw aufgetragen, der Welt gezeigt hat, dass er »besser als Messi« ist. Und weil er, im Juni 23 geworden, einer noch jüngeren Generation angehört. »Die Gefahr für diese Spieler ist, dass die Fremdidentifizierung zur Selbstidentifizierung wird«, erklärt Gunter Gebauer. Während Schweinsteiger in Ehren nun für rund 20 Millionen Euro an Manchester United verkauft wurde, wird Götze bei verschiedenen Transfervorhaben des FC Bayern als Tauschobjekt gehandelt.

Ob in München oder anderswo: Für Mario Götze kann die kommende Saison nur besser werden. Ein Neuanfang ist sie für den deutschen Fußball allemal: Weil das Scheitern als grundlegendes Merkmal nach dem Höhepunkt - und nach dem Rausch des Höhepunktes - wieder Antrieb sein kann und wird. Vorboten gibt es einige: Thomas Tuchel als neuer Trainer in Dortmund, der langsame Umbau der Münchner Mannschaft samt Trennung von einer Klubikone oder die Unlust zum Weiterfeiern. In Barsinghausen folgten am Montag nicht viele Schaulustige dem Ruf des DFB auf dessen Ehrenrunde mit Pokal.

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