Muttermilch der Zivilisation?

Von Reinhard Renneberg , Merseburg und Hongkong

  • Reinhard Renneberg
  • Lesedauer: 2 Min.

Eine lustige und gleichzeitig absolut alkoholfreie Sommer-Gartenparty mag sich hierzulande kaum jemand vorstellen. Dabei hatten unsere äffischen Vorfahren vor Millionen von Jahren durchaus ein echtes Problem mit dem giftigen Ethanol.

Der Chemiker Steven Benner von der Foundation for Applied Molecular Evolution in Gainesville (Florida) glaubt, dass der erste unserer Urahnen, der Alkohol von Herzen genießen konnte, vor etwa zehn Millionen Jahren lebte. Ethanol begegnete den damaligen Primaten in vergorenen Früchten. Um Alkohol abzubauen, brauchen die meisten Primaten ebenso wie wir ein Enzym, die Alkohol-Dehydrogenase (ADH). Die startet schon in Zellen der Speiseröhre, in Magen und Darm mit der Arbeit. Die Hauptarbeit bei der Alkoholentgiftung muss die Leber leisten. Das erste Abbauprodukt Acetaldehyd ist giftig. Es ist auch für den »Kater« am nächsten Morgen verantwortlich. Ein zweites Leberenzym, die Acetaldehyd-Dehydrogenase (ALDH), baut das Acetaldehyd ab.

Die meisten meiner asiatischen Kollegen haben genau da genetisch ein Problem. Ihre Enzymvarianten arbeiten schlechter als die von uns Langnasen. Japaner werden schnell beschwipst und bekommen rote Köpfe vom Acetaldehyd. Das ist zwar sehr »ökonomisch«, aber sie klagen am nächsten Tag ganz unjapanisch über KAA-ZEN-JAMMERU. Das japanisierte deutsche Wort ist mir bei solchen Gelegenheiten tatsächlich begegnet.

Inzwischen wurde die DNA von 27 modernen Primaten nach Varianten der ADH-Gene durchsucht; Schätzungen für ausgestorbene Affenarten kamen dazu. Interessant ist nun, dass genau von dem Moment an, wo Gorillas, Schimpansen und der Vormensch voneinander abzweigen, also vor ca. zehn Millionen Jahren, Alkohol verwertet werden kann.

Der Qualitätssprung ist atemberaubend: Moderne Primaten können Alkohol 50 (!) Mal besser verwerten als andere Affen. Der englische Evolutionsforscher J. B. S. Haldane nannte den Alkohol also zu Recht »die Muttermilch der Zivilisation«. Die ägyptischen Pyramiden hätten wohl ohne Bier mit seinen positiven Eigenschaften nicht gebaut werden können. Das Nilwasser wimmelte nämlich von Bakterien. Das saure Bier war im Vergleich dazu nahrhaft, berauschend, keimabtötend und somit hygienisch einwandfrei! Eine sogenannte Win-win-Situation.

Doch woher kommt diese genetische Veränderung bei Asiaten? Yi Peng vom Labor für Genetische Ressourcen und Evolution der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Kunming konnte schon 2010 zeigen, dass die Ausbreitung des Reisanbaus in China und Japan mit der evolutionären Veränderung der Abbauenzyme parallel lief. Alkohol brachte zwar wie im alten Ägypten durch Desinfektion, hohen Nährwert und Genuss eine bessere Lebensqualität. Doch die negativen Folgen (Kater und rote Gesichter) bremsten den Alkoholismus. Warum das Warnsignal bei Wodka liebenden Russen und auch bei den übrigen Europäern nicht genauso funktionierte, bleibt ein Rätsel.

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