Hedwig Lachmann

Frauengeschichte(n)

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie kam aus Pommern und führte als emanzipierte Frau in einer von Männern dominierten Welt in den diversen Großstädten Europas ein weitgehend selbstbestimmtes Leben. Hedwig Lachmann war eine konsequente Pazifistin und zutiefst schockiert, als ihr langjähriger Freund Richard Dehmel bei Kriegsausbruch 1914 für sie völlig überraschend in eine nationalistische Kriegsbegeisterung verfiel, woraufhin sie mit ihm rigoros brach.

Die am 29. August 1865 in Stolp geborene Kantorstochter absolvierte in Augsburg die Examen als Sprachlehrerin. 1882 ging sie als Erzieherin nach England und erschloss sich dort die englischsprachige Literatur im Original. Dazu gehörte das Werk von Oscar Wilde. Mit Folgen, wie sich später zeigte. Zunächst einmal arbeitete sie noch als Erzieherin und Sprachlehrerin in Dresden und Budapest und unternahm erste eigene Schreibversuche und Übersetzungen. Die hatte sie im Gepäck, als sie sich 1889 in Berlin niederließ, wo sie die Bekanntschaft mit dem renommierten Schriftsteller Richard Dehmel machte, der ihre Begabung erkannte und sie förderte. Im Jahr darauf lernte sie bei einer Lesung im Haus Dehmels Gustav Landauer kennen, den Sohn eines jüdischen Schuhwarenhändlers aus Karlsruhe, der für einen »anarchistischen Sozialismus« eintrat und wegen »Ungehorsam gegen die Staatsgewalt« schon mehrfach verhaftet worden war. Beide wurden schnell ein Paar.

Da Landauer verheiratet war und sich dessen Frau nicht scheiden lassen wollte, ging das Liebespaar nach England, wo beide als Übersetzer, u. a. von Oscar Wilde wirkten. 1902 nach Berlin zurückgekehrt, konnten sie endlich heiraten. Hedwig Lachmann brachte ihren eigenen Lyrikband »Im Bilde« heraus. 1906 erschien ihre Oscar-Wilde-Biografie. Landauer indes hatte inzwischen eine neue Liaison mit der Gewerkschafterin Margarethe Faas-Hardegger. Doch die Ehe hatte nach kurzer Krise weiterhin Bestand. Hedwig Lachmann, die in ihrer politischen Orientierung stark von Landauer beeinflusst wurde, sorgte für das Familieneinkommen. Ihr Mann gehörte zu den wenigen Vertrauten des geheimnisumwitterten Schriftstellers B. Traven.

Während des Ersten Weltkrieges und nach dem Tod der Mutter von Hedwig Lachmann in Krumbach übersiedelte das Paar in die württembergische Kleinstadt, wo die Ernährungslage noch erträglicher war als in Berlin. Zu Krieg und Existenznöten gesellte sich jedoch auch schwere Krankheit. Hedwig Lachmann starb am 21. Februar 1918 an einer Lungenentzündung. Sie fand ihre letzte Ruhe auf dem Jüdischen Friedhof in Krumbach. Gustav Landauer sorgte für die Veröffentlichung ihrer »Gesammelten Gedichte« im Verlag von Gustav Kiepenheuer und stürzte sich erneut in die Tagespolitik. Er wurde im Mai 1919, mit der Niederschlagung der Revolution in Bayern, von Freikorpsleuten ermordet. Martin Stolzenau

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