Eins, zwei Kartoffelbrei

Über den Thermomix, den Superdildo der deutschen Hausfrau.

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 5 Min.

Herauszufinden, was sie kostet, die Zukunft des deutschen Volkes die eierlegende Wollmilchsau der deutschen Küche, ist schwer. Blümchen in allen Varianten zum Draufkleben kosten um die 20 Euro, das kriegt man sofort raus.

Die Info, dass dieses Teil für den Schnäppchenpreis einer zweiwöchigen Reise an die mallorquinische Küste (zwei Personen, Vollpension, Flug inklusive) zu haben ist, die muss man eine Weile suchen. Etwa tausend Euro kostet das Gerät, von dem in diesem Blogeintrag die Rede ist. Tausend Euro. Damit die teutsche Hausfrau von heute Kartoffelbrei zubereiten kann. Kartoffelbrei. Kartoffelbrei!? Bestellen kann man das Gerät nicht so einfach. Man muss online ein Formular ausfüllen und dann wird man angerufen. Wahrscheinlich fragen einen die »Kundenbetreuer« dann, wie man Kartoffelbrei zubereitet. Wer was von »Kartoffeln in Scheiben schneiden« stammelt, kriegt bestimmt sofort einen zugeschickt. Auf Ratenzahlung.

Die Rede ist vom Thermomix. Einem Gerät, dass so deutsch ist, wie ein Gerät nur sein kann. Es häckselt, hackt, mahlt, pulverisiert, schlägt, knetet, püriert, dünstet, frostet, rührt. Nur Katzenbaby-Fotos direkt ins Internet stellen oder den Weltfrieden backen, das kann es nicht. Dieses Gerät lebt auf einer jener Inseln im Paralleluniversum Internet, die ich bisher nicht mal von weitem gesehen habe und ist so begehrt, dass der Deutsche sich um seine Billigversion prügelt. Es hat eine eigene App und eigene Youtubekanäle. Plural, richtig. Nach einer Stunde 30 Minuten vor eben jenen weiß ich, warum. Und ich frage mich, wieso die Thermifeen Deutschlands immer alle deutschen Klischees bedienen müssen. Prilblumen im Vorspann! Und ein Essen, bei dessen Anblick mir schon schlecht wird. Wurst. Wurst auf Breigrün. Mit Stückchen am Rand. Stückchen. Beim Anblick des auf dem Bildschirm meines Wischtelefons nunmal recht klein dargestellten Suppentellers sieht das einigermaßen widerwärtig aus, weil ich mich sofort an düstere Tage in der Grundschule erinnert fühle: Im mitunter kredenzten Eintopf waren auch immer so Stückchen drin, die man nie vorher gesehen hat und deren Konsistenz einem regelmäßig die sonst durchaus genießbare Suppe versaute.

Ich schweife ab.

Eins zwei, Kartoffelbrei. Den kann man ja schließlich nicht so einfach im Topf zubereiten. Oder so spektakuläre, jeden Sternekoch überfordernde, weil tausendstündige Vorbereitung erfordernde Zehngangmenüs wie Erbsensuppe. Mit WURST. Oder Erdbeereis. Oder Brötchen. Oder Nudeln mit Hackfleischsoße. Oder Reibekuchen. Oder Gemüsebrühe. Oder »Hawaii Hähnchen mit Reis und einer super leckeren Soße« oder Gummibärchen – Likör. Mit Gedankenstrich. Ich hab das Video angeklickt, weil ich wissen wollte, ob es jetzt Gummibärchen oder Likör gibt oder beides. Es gab Gummibärchenlikör. Aus ganzen Gummibärchen. Und Wodka. Angeguckt hab ich mir das Video dann doch nicht, weil ich abgelenkt wurde von einem anderen Film, einem darüber, wie man Weiberplörre macht. Weiberplörre. Das Wort steht in so starkem Kontrast zu den Namen, die sich die Frauen geben, dass ich verwundert drauf geklickt habe. Jaja.

Es gibt auch Mixietreffen, lerne ich. Früher gab es Tupperparties. Seltsam eigentlich, evolutionstheoretisch gesehen müssten doch die Tupperparties jetzt erst ihre Hochzeit erleben, weil erst jetzt auf den Mixieparties was »gekocht« wird, was man dann da rein füllen kann. In die Tupperdosen.

Wer sich je gefragt hat, wofür die Deutschen brennen (also wofür noch neben Laubhäckslern und Helene Fischer) der findet hier eine Antwort: Der Thermomix ist die Leidenschaft der deutschen Küchen. Er ist der Superdildo mit 18 Vibrationsstufen der (Haus-)Frauen, denen »Fifty Shades of Grey« zu harter Tobak war. (»Dabei ist er enorm leistungsstark, vielseitig und innovativ.« O-Ton Produktbeschreibung.) Anders ist zum Beispiel nicht zu erklären, dass es in den Videos zu Sätzen kommt wie »Der Schmetterling bleibt drin.« Anders ist vor allem nicht zu erklären, wie ausdauernd und mit welcher Leidenschaft sich Frauen (und Männer) diesem Gerät widmen. Wobei »Leidenschaft« auch schon zu viel gesagt ist. Freundlich gesagt könnte man das »mütterliche Ruhe« nennen, was die Frauen auf den Thermikanälen da in die Kamera gestikulieren. Anders gesagt: Betonung und Ausstrahlung passen halt verdammt gut zu dieser Lebensmittelverarbeitung nach Betriebsanleitung, die sie vor der Kamera durchexerzieren. Anders kann es in Bundeswehrkasernen auch nicht aussehen, wenn Soldaten ihre Gewehre auseinander- und wieder zusammenbauen. Bisschen gelangweilt, hochkonzentriert nur dann, wenn die Betriebsanleitung tricky Sätze enthält wie den Hinweis, »’dass man Nektar nehmen soll und keinen Saft’. Weiß ich jetzt auch nicht warum.« Ist mir auch schleierhaft jetzt. Wat is’ denn da auch der Unterschied.

Der Thermomix schafft es spielend, aus einer potentiell (!) hochkreativen Beschäftigung wie dem Kochen einen durch und durch ätzend langweiligen, durchstrukturierten und -organsierten Verwaltungsprozess zu machen, in dem nichts mehr von irgendeiner Norm abweicht, nichts ausprobiert wird, nichts neu entstehen kann. All die ThermiFans, -Sternchen, -Feen, -Mäuse und -Hexen leiten ihre Videos mit dem Satz ein: »Laut Rezept«… Nix mit Ausprobieren, nix mit Kreativität, nix mit individuellem Geschmack. Da werden Gewürze grammgenau abgewogen, jeder Tropfen Wasser abgezählt, jedes Pfefferkorn vorgeschrieben. Es tut einem in der Seele weh, dabei zuzugucken. Und sich dann vorzustellen, was da sonst so kulinarisch abgeht in den deutschen Küchen. Auch wenn es sich nur um Kartoffelbrei, Schweinebraten mit Kruste und Plörre handelt...

Aber was zetere ich.

Sollte es einen Dritten Weltkrieg geben, das Deutsche Volk wird auch diesen überleben. Wir haben den Thermomix.

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