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Erfindergeist und Faustrecht

US-Forscher entwickelt neue Theorie zur Entstehung der Hand - und erntet viel Kritik. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die menschliche Hand ist zweifellos ein Wunderwerk der Natur. Mit ihren 33 Muskeln lassen sich feinmotorische Bewegungen ausführen, die ansonsten kein Wesen im Tierreich zu vollbringen vermag. Im Gegensatz zu Schimpansen oder Orang-Utans, die lange Finger und einen kurzen Daumen besitzen, ist unser Daumen lang, kräftig und extrem beweglich. Deshalb können wir einen Gegenstand präzise mit Daumen und Zeigefinger fassen und mit ihm hantieren. Dank solcher anatomischen Besonderheiten, so lautet die gängige Theorie zur Evolution der Hand, habe der Mensch gelernt, mit Werkzeugen umzugehen und solche immer perfekter herzustellen. Nicht zufällig sprach Friedrich Engels »vom Anteil der Arbeit« und damit der Hand »an der Menschwerdung des Affen«.

Allerdings hat die menschliche Hand noch eine weitere Eigenschaft. Sie kann, anders als die Hand der anderen Primaten, zur Faust geballt werden. Die meisten Evolutionsbiologen finden dieses Faktum nicht sonderlich aufregend. Im Gegensatz zu David Carrier von der University of Utah, der sich gern außerhalb des wissenschaftlichen Mainstreams bewegt. Nach seiner Auffassung diente die Faust frühzeitig als natürliche Waffe im Kampf gegen unliebsame Artgenossen. Selbst den aufrechten Gang führt er unter anderem auf die Vorteile beim Faustkampf zurück. Bekanntlich richten sich auch viele Tiere auf, um anderen zu drohen. Doch sie tun dies nur kurzzeitig, der Mensch hingegen habe dauerhaft den aufrechten Gang zum Kampf genutzt, meint Carrier.

In einem umstrittenen, bisweilen sogar als skurril bezeichneten Experiment haben er und seine Kollegen nun einige dieser Thesen zu überprüfen versucht. Dabei ließen sie die Arme von neun verstorbenen Männern in verschiedenen Handpositionen auf eine Platte prallen. Ergebnis: Mit geschlossener Faust kann ein Mensch um 55 Prozent härter zuschlagen als mit ungeschlossener. Im Vergleich zu einer flachen Hand ist die Wucht sogar doppelt so groß. Außerdem sind in der Faust die Handknochen am besten vor Verletzungen geschützt. »Das Besondere an der Hand scheint zu sein, dass ihre evolutionär entstandenen Proportionen sowohl zur Fingerarbeit als auch zum gezielten Schlagen geeignet sind«, resümieren die Forscher im »Journal of Experimental Biology« (doi: 10.1242/jeb.125831).

Hat sich also, könnte man nun salopp fragen, der Mensch bzw. der Mann die Leiter der Evolution empor geprügelt? Und spiegeln sich bereits in der Entwicklung der Hand die hellen und dunklen Seiten des Menschseins wider? Carriers Kritiker lehnen diese Theorie ab. Sie verweisen darauf, dass es keine prähistorischen Belege für das Stattfinden kriegerischer Faustkämpfe gebe. Außerdem sei die Faust viel zu empfindlich und alles andere als durchschlagend. Bestenfalls habe sie die Wehrhaftigkeit unserer Vorfahren gestärkt, diese aber nicht zu aggressiven Handlungen verleitet. Selbst Carrier gibt sich hier zurückhaltend: »Die Idee, dass aggressives Verhalten eine Rolle bei der Entwicklung der menschlichen Hand spielte, bleibt umstritten.«

Tatsächlich entsteht nicht jedes Merkmal in der Evolution direkt unter dem Einfluss der natürlichen Auslese. So könnte die geballte Hand unseren Vorfahren ursprünglich geholfen haben, sich in bestimmten Situationen besser abzustützen. Erst später wurde offenbar, dass man mit der Faust auch zuschlagen kann, was die damit verbundene Gewalt freilich um keinen Deut besser macht.

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