Dem Blauen Reiter auf der Spur

Die Expressionisten entdeckten Murnau und das Blaue Land. Von Ulli Traub

  • Ulli Traub
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Als Wassily Kandinsky und Gabriele Münter die oberbayerische Landschaft um Murnau auf der Suche nach einem Ort der Inspiration und der Ruhe entdeckten, waren sie sich schnell einig. Hier wollten sie sich niederlassen und malen. Das war vor rund 100 Jahren. Zeugen dieser Liebe sind unzählige Bilder und die einladende Landschaft.

Auch Fritz-Walter Schmidt mag diese Gegend. Deshalb arbeitet der Murnauer seit vielen Jahren daran, das Andenken an die expressionistischen Maler wiederzubeleben. Zwischenzeitlich waren sie in Vergessenheit geraten. »Die Erinnerung an Leben und Werk der Künstler, die es in meine Heimat verschlagen hatte, zu vermitteln, ist für mich zu einer Lebensaufgabe geworden«, erklärt der vitale Ruheständler, der auch als Buchautor dieses Ziel verfolgt. Der Kunstautodidakt leitet Führungen zu den Orten, die die Maler, die sich 1911 zur Künstlergruppe Blauer Reiter zusammenschlossen, in ihren Bildern festgehalten haben.

Das Münter-Haus, in dem die Malerin auch nach der Trennung von Kandinsky bis zu ihrem Tod 1962 gelebt hat, war so etwas wie die Kunstzentrale jener Jahre. Zu Besuch kamen Franz Marc und August Macke, Alexej Jawlensky und Marianne Werefkin. Nach aufwendiger Renovierung, die das im Volksmund Russenhaus genannte Gebäude vor einigen Jahren weitgehend in den Originalzustand zurückversetzt hat, ist das Münter-Haus mit seinen von den Künstlern bemalten Möbeln und der Kandinskytreppe, mit Gemälden und Grafiken ein Ausgangspunkt der Wanderungen zum Blauen Reiter. »Bei den Baumaßnahmen halfen gerade auch die Bilder, die Gabriele Münter von ihrem Haus gemalt hat«, erklärt Schmidt.

Mit dem Spurenleser an der Seite wandern wir durch Murnau und das Blaue Land wie durch ein Open-Air-Museum. Zu unserer Überraschung entdecken wir viele Orte als MalSchauplätze. »Schauen Sie genau hin«, fordert Schmidt auf und zeigt auf das Murnauer Ortspanorama mit Schloss und Kirche. Dann blättert er in seiner dicken Kladde, bis er Reproduktionen von Kandinsky- und Münter-Gemälden mit eben dieser Ansicht gefunden hat. Die Konfrontation der Wirklichkeit mit dem Abbild führt in die Welt der Künstler zurück und verrät viel über deren malerischen Ansatz. Sie ist auch für Kunstlaien interessant und kurzweilig.

Getreu Kandinskys Maxime, man solle in den Bildern spazieren gehen, folgen wir Schmidt durch den geschäftigen Ort. Das Stadtbild rund um die Mariensäule am Untermarkt, das Schloss und manche Gasse laden als kaum veränderte Kulisse zu Vergleichen mit den Interpretationen der Maler ein. Vieles wie das stattliche Hotel Griesbräu, in dem Kandinsky und Münter ihren Besuch einquartierten, würden die Künstler heute ohne weiteres wiedererkennen. Seit einigen Jahren wird im Griesbräu auch wieder gebraut - wie vor 100 Jahren.

Der Ortsspaziergang sei nur die Vorspeise, betont Fritz-Walter Schmidt. Als Hauptgericht serviert er einen Ausflug in die Natur, zunächst ins braun-grüne Meer des von der Alpenkulisse gerahmten Murnauer Mooses. »Es war eines der Lieblingsmotive der Maler, aber bei weitem nicht das einzige«, fügt er schmunzelnd hinzu. Ein schmaler Höhenzug trennt das Moos vom Staffelsee, der Kandinsky und Münter ebenso inspirierte wie der benachbarte Riegsee. Auch das nahe Gebirge regte die Künstler immer wieder zu neuen Bildern an.

So sehr uns die Farben begeistern, die aus den Gemälden der expressionistischen Maler strahlen, so sehr gleitet unser Blick immer wieder über die Reproduktionen, die Fritz-Walter Schmidt uns zeigt, hinaus in die Landschaft. Der wahre Farbenrausch findet in der Natur statt. Man könnte meinen, die Liebe der Maler zu ausdrucksstarker Farbgebung habe sich im Blauen Land entwickelt.

Im Licht der Wintersonne und ohne geschlossene Schneedecke, die die Farben aus der Landschaft tilgen würde, beginnt die Natur zu leuchten. Allen voran die Seen, deren strahlendes Blau dem Land seinen Namen gegeben hat. Ein Blau, von dem Franz Marc gesagt hat, dass es die einzige Farbe sei, bei der er sich dauernd wohl fühle. Verstehen kann man’s.

Apropos Franz Marc. Da fällt Fritz-Walter Schmidt ein, dass man auch über den Franz-Marc-Weg nach Sindelsdorf, wo der Maler eine Zeit lang gelebt hat, wandern könne - wie einst Kandinsky. »Unsere Landschaft ist voller Erinnerungen an die Maler. Man muss es nur wissen«, resümiert unser Kunstfreund nicht ohne Stolz.

Und was gibt es als Nachspeise? Schmidt empfiehlt einen Besuch im Schlossmuseum mit der umfangreichen Münter-Sammlung. »Um die Ecke gibt es eine gute Brauerei«, rät er zum Abschied. »Es muss ja nicht immer Kunst sein.«

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