Das Mubarak-System löst sich auf

Gespräche mit Opposition / Regierungspartei bestimmte Führung neu / Anschlag auf Pipeline

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Nach zweiwöchigen Massenprotesten gegen das Regime von Husni Mubarak brechen die verhärteten Fronten auf. Ägyptens Staatschef verlor wichtige Gefolgsleute in der Regierungspartei.

Kairo/München (Agenturen/ND). Unter dem Druck der Proteste in Ägypten hat die Regierung unter Präsident Husni Mubarak erstmals einen Dialog mit der oppositionellen Muslimbruderschaft aufgenommen. Vizepräsident Omar Suleiman traf am Sonntag in Kairo mit Vertretern der Bruderschaft und weiteren Oppositionspolitikern zusammen, um über die Zukunft des Landes zu beraten. An den Gesprächen waren nach Angaben der Nachrichtenagentur Mena auch die liberale Wafd-Partei, die linksgerichtete Partei Tagammu und eine Gruppe beteiligt, welche die Demonstranten eingesetzt hatten. Friedensnobelpreisträger und Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei nahm nicht an den Gesprächen teil. Er sei nicht eingeladen worden und halte die Diskussionen zudem für undurchsichtig, sagte er dem US-Sender NBC.

Die Muslimbruderschaft hatte bislang Mubaraks Rücktritt zur Vorbedingung für den Dialog gemacht. Am Sonnabend lenkte die islamistische Bewegung ein und stimmte den Verhandlungen zu.

Aus Oppositionskreisen verlautete indes, dass keine ihrer Forderungen bei den Gesprächen erfüllt worden sei. Die Teilnehmer vereinbarten einem Regierungssprecher zufolge jedoch die Gründung eines Komitees, das bis zum März Veränderungen an der Verfassung ausarbeiten soll. Dazu zählten die Aufhebung von Einschränkungen der Medien sowie die Ablehnung »jeglicher Einmischung aus dem Ausland in die ägyptischen Angelegenheiten«. Die Muslimbruderschaft bezeichnete die vorgeschlagenen Reformen der Regierung als unzureichend.

Der neue Innenminister Mahmud Wagdi will die als korrupt und gewalttätig berüchtigte Polizei reformieren. Während eines Treffens mit den Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion am Sonntag in Kairo erklärte er, die Polizisten sollten sich ab sofort als Dienstleister für die Bürger verstehen.

Am Sonnabend war das Exekutivkomitee der in Ägypten regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) zurückgetreten. Mubarak ernannte laut Staatsfernsehen Hossam Badrawi zum neuen NDP-Generalsekretär, blieb aber selbst als Parteichef im Amt. Badrawi, der gute Beziehungen zur Opposition unterhält, löste Generalsekretär Safwat al-Scherif ab. Zugleich ersetzte er Mubaraks Sohn Gamal, der als wahrscheinlicher Nachfolger seines Vaters galt, als Vorsitzenden des politischen Komitees der Partei.

US-Außenministerin Hillary Clinton begrüßte den am Sonntag in Kairo eröffneten Dialog. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hatte sie davor gewarnt, dass der Übergang »chaotisch« verlaufe oder in ein autokratisches System zurückführe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte vor einer überstürzten Ablösung Mubaraks. »Man muss einen geordneten Übergangsprozess hinbekommen«, sagte sie in München.

Während in Ägypten die Demonstrationen für einen Rücktritt Mubaraks ohne größere gewalttätige Zwischenfälle weitergingen, wird auf der Suche nach einer geschickten Lösung für dessen Abgang laut »New York Times« inzwischen offenbar erwogen, dass der 82-Jährige für einen verlängerten Gesundheitscheck nach Deutschland kommt. In Berlin wurde diese Meldung als Spekulation bezeichnet.

Im Norden der Sinai-Halbinsel haben Attentäter am Sonnabend einen Anschlag auf eine wichtige Gaspipeline verübt und damit die Lieferungen in die Region gestoppt. Die Leitung führt von Ägypten nach Israel und hat einen Abzweig nach Jordanien. Die Verbindung nach Jordanien wurde unterbrochen. Ob die Lieferungen nach Israel weiter möglich sind, war zunächst nicht klar. Israel habe die Leitung aus Sicherheitsgründen abgedreht, teilte die israelische Regierung mit.

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