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»Wir sind doch nicht in Weißrussland«

Frankfurts Bankenviertel war dicht - dafür sorgte schon die Polizei

Blockupy! Frankfurt am Main ist dicht, alles ist blockiert - aber nicht von den Demonstranten. Und die Gewalt? Der gefürchtete »Schwarze Block«? Fehlanzeige. Eindrücke aus einer Stadt unter Polizeibelagerung.
Der blasse junge Nachwuchsbanker mit roter Krawatte hat ein Problem. Er steht mitten unter Krisenaktivisten in einem Polizeikessel und muss nun einen misstrauischen Polizisten davon überzeugen, dass er nicht gegen seinen Brötchengeber demonstrieren, sondern einfach nur sein Büro verlassen will. Die festgesetzten Bankenkritiker machen sich einen Spaß daraus: »Der gehört zu uns«, beteuern sie. »Der war die ganze Zeit dabei.« Trotz ihres eindeutigen Gelächters muss der gut gekleidete junge Mann noch einige Minuten den falschen Verdacht ertragen. Dann hat er Glück. Ein anderer Polizist gibt von weiter hinten sein Okay. Er darf die Polizeikette passieren.

Die Frankfurter Innenstadt befindet sich seit Donnerstag im Belagerungszustand. Das Bankenviertel ist hermetisch abgesperrt. Kein Polizist will sich auf den Augenschein verlassen. Rein kommt nur, wer nachweisen kann, dass er in einem der Hochhäuser oder angrenzenden Geschäften arbeitet. Jeder wird nach seinem Weg befragt: ob jung, ob alt, Anzugträger oder Punk. Auch rausgeputzte Konzert- und Theaterbesucher müssen ihre Eintrittskarten vorzeigen. Einige Spielstätten wie die Neue Oper liegen innerhalb der Sperrzone, die die Polizei rund um die Europäische Zentralbank (EZB) errichtet hat. Eine blonde Polizistin hat einen Zettel mit den Spielplänen in der Hand. Im Frankfurter Schauspiel werden an diesem Abend passenderweise Schillers »Räuber« gegeben, die Geschichte eines zu Unrecht zum Kriminellen gemachten guten Menschen.

Viele der Demonstranten sind Donnerstagabend auf der Suche nach einem Schlafplatz. Die Stadt hat abgelehnt, Übernachtungsflächen zur Verfügung zu stellen. Zur Not, meint ein junger Mann aus Wien, werde er sich am nahen Mainufer in seinen Schlafsack legen. »Der hält bis drei Grad warm.« Aber noch hofft er mit seinen Freunden auf etwas komfortableres und malt im Hof des DGB-Hauses ein Schild: »Schlafplatz gesucht«. Irgendwo kommen alle Krisenaktivisten schließlich unter: privat, in einer Kirche, in einem Park.

Und die Stadt Frankfurt: »Bereits am Bahnhof hat die Polizei mein Zelt beschlagnahmt«, berichtet ein sächselnder Demonstrant empört. Kein Einzelfall.

In der Bankenmetropole prallen Welten aufeinander: Während die Krisenaktivisten den Platz vor dem Römer in Beschlag nehmen, sitzen gut betuchte Gäste in den Restaurants am Rand, genießen ihr Weizenbier und vielleicht auch ein bisschen das ungewöhnliche Spektakel vor ihnen. »Take the square«, unter diesem Motto soll der Platz nach ägyptischen Vorbild in ein Basiscamp für die Proteste umgewandelt werden. Doch daraus wird nichts. Die Polizei räumt abends – auch unter Zuhilfenahme sogenannter Schmerzgriffe. Und so erinnert der Platz schließlich doch ein wenig an sein Kairoer Vorbild.

Das Missverhältnis zwischen polizeilicher Präsenz und Einsatztaktik einerseits und den einigen hundert friedlichen Demonstranten andererseits wird am Tag der geplanten EZB-Blockade besonders deutlich. Jegliche angemeldeten Veranstaltungen wurden aus Angst vor Randale verboten. Doch das von der Boulevardpresse und hessischen Christdemokraten gezeichnete Schreckensszenario mag sich nicht einstellen. Kein Vermummter weit und breit. Kein Stein, der fliegt. Stattdessen wird viel gelacht und musiziert. Doch jede noch so kleine Ansammlung von Demonstranten wird sofort von martialisch aufgebrezelten Beamten umstellt. Die Demonstranten hätten das Zentrum wohl nie so umfassend lahmlegen können, wie die unzähligen Blaulicht-Konvois. Die Polizeimaschinerie mit ihren tausenden Beamten, Wasserwerfern und Räumpanzern entpuppt sich als der wahre Blockierer.

Dennoch gelang den Krisenaktivisten am Morgen ein Überraschungscoup, als sich 1000 Leute aus dem Nichts am Bahnhof sammeln und unbehelligt losziehen Richtung Messe, mit Transparenten und lautstarken Sprechchören: »Gegen Krieg und Krise!« und »Antikapitalista«. Als eine erste Polizeikette an der Seite umlaufen wird, wirkt das wie aus einem Lehrbuch für zivilen Ungehorsam. Kurz hinter dem lauschigen Beethovenplatz ist es in einer schmalen Einbahnstraße vorbei. Einige können noch über Gärten entkommen, der Rest - etwa 200 Personen - sitzt nun fest. Die Stimmung ist trotzdem gut. Dass sie überhaupt laufen konnten, feiern sie als Erfolg.

Eine Gruppe aus Bielefeld, alle Ende 50, versucht mit der Polizei zu verhandeln, dass die Eingekesselten in Kleingruppen weggehen dürfen. Die angedrohten Strafanzeigen kämen doch eh nicht, argumentieren sie. Es nützt nichts. Sie werden in Gewahrsam landen wie auch die Gruppe ver.di-Jugendlicher aus Bonn, die sich mit Hip Hop aus dem Ghettoblaster und entschlossenen Megafondurchsagen (»Millionen sind stärker als Millionäre«) bei Laune hält. »Ich will den Griechen zeigen, dass nicht alle hinter Merkel stehen«, sagt der 19-Jährige Jonas.

Kurz vor zehn kommt die Durchsage: »Kinder und Jugendliche werden bevorzugt abgearbeitet.« Abarbeiten bedeutet akribische Durchsuchung von Körpern und Sachen, jede Tasche wird von links nach rechts gewendet, jedes Döschen aufgeschraubt, selbst Haarknoten auf dem Kopf abgetastet. Ein junger Mann mit rutschender Hose zieht zerknüllte Taschentücher, Bonbonpapier und Flugblätter aus der Tasche. Danach soll es im Polizeibus weiter gehen Richtung Polizeipräsidium, dort wartet die erkennungsdienstliche Behandlung. Das kann Stunden dauern. Stunden, die sie weg sind von Bankentürmen und Straßenkreuzungen, wie es die Stadt für die ganzen Aktionstage am liebsten hätte. Ein Mädchen mit rosa Turnschuhen und grüngepunktetem Halstuch wird von zwei Beamtinnen links und rechts am Arm zur Leibesvisitation geführt. Sie wirkt ziemlich mitgenommen. Sie sei 16, das sagt sie noch leise, danach hält sie wieder den Kopf gesenkt, das Gesicht verschwindet hinter rötlich getönten Haaren.

Einer beschwert sich: »Das ist ja wie in Weißrussland hier.« Der Vergleich mag hinken, doch ganz von der Hand zu weisen sind die Parallelen nicht. Auch die Demonstrationen in Belarus sind behördlich untersagt. Zwar wird hier niemand zusammengeschlagen, doch in die Gefangenensammelstelle wird auch in Deutschland verbracht, wer sich friedlich versammelt, um seine Meinung kundzutun. Viele der Protestierer haben eine gedruckte Ausgabe des Grundgesetzes dabei. Hier im Kessel halten einige ihr Exemplar hoch und verweisen lautstark auf Artikel 8. Dort heißt es: »Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln«.

Die Polizei denkt nicht in solch abstrakten Kategorien.

Etwa 200 Demonstranten schaffen es schließlich doch bis zur EZB. Zumindest bis zur letzten Absperrung. Hinter dem überdimensionierten Euro-Zeichen, das den Park vor dem Wolkenkratzer mehr oder weniger schmückt, sind noch die Überreste des am Mittwoch geräumten Occupy-Camps zu sehen. Ein Transparent, dass die Besetzer dort hinterließen, fragt nicht ganz grundlos: »Wer macht denn hier Gewalt?«. Die Protestierenden jedenfalls nicht. Die meisten sitzen, man teilt Essen und Zigaretten. Fast könnte man vergessen, warum die überwiegend jungen Leute hier sind. Wären da nicht die vielen Polizisten. Doch die Blockierer lassen sich durch diese Zurschaustellung von Staatsgewalt nicht einschüchtern und halten eine Versammlung unter freiem Himmel ab. Assamblea, so heißen diese spontanen Zusammenkünfte. Die Occupy-Bewegung hat sie populär gemacht. Auch ein paar prominente Politikerinnen der Linkspartei schauen vorbei: Die Bundestagsabgeordneten Christine Bucholz und Nicole Gohlke kamen mit dem roten Fraktionsbus – mit eigener Polizeieskorte. Doch den Beamten ging es weniger um die Sicherheit der beiden. »Die dachten wohl, wir würden ein paar Vermummte hierher schmuggeln«, sagt ein Fraktionsmitarbeiter.

Während die Polizei per Lautsprecher versucht, die jungen Leute zum Gehen zu überreden, kommt auf der Gegenseite der kollektive Stimmverstärker zum Einsatz. Dessen Funktionsprinzip ist ebenso einfach, wie effektiv. Da es einzelne Redner schwer haben, sich trotz der lauten Polizeigeneratoren Gehör zu verschaffen, wiederholt die Gruppe das Gesagte.

Auf diese Weise ist sichergestellt, dass alle verstehen, was dort kundgetan wird. Die Sprecher passen sich dem an und stoppen nach jedem Halbsatz. So hat der Zuhörer den Eindruck, hier werde eine Art revolutionärer Schwur geleistet. Die Uniformierten sehen staunend zu.

Die Polizei muss an diesem Tag mehrfach einräumen, dass die Aktionen alle friedlich verlaufen. Ein Grund für Entwarnung ist das jedoch für sie nicht. »Wir sind auf der Hut.«, heißt es bei der Pressestelle der Polizei. Man wisse von Gruppierungen, die anderes im Schilde führten. Gefahrenprognosen können somit eigentlich nie falsch liegen: Wenn Steine fliegen, war sie richtig, wenn nichts passiert, ist das ein Erfolg der klugen Polizeitaktik.


Pure Schikane

Wir sind Mittwochnacht in Berlin beim Ostbahnhof losgefahren. Drei Busse mit Ziel Frankfurt, wir wollten dort ein Camp errichten. Kurz vor Frankfurt hat uns das erste Polizeiauto überholt. Plötzlich war alles voll vor uns und wir mussten auf eine Autobahnmeisterei rausfahren. Die Polizei hat ihre Wannen um unsere Busse gestellt. Dann kamen Polizisten in den Bus, in voller Kampfmontur und haben sich dicht an dicht in den Gang gestellt.

Nach und nach wurde jeder einzeln rausgeholt, das gesamte Gepäck wurde gründlichst durchsucht und Personalien aufgenommen. Warum das Ganze? Weil wir Berliner sind? Über die Verbotsgrundlage wurde nicht viel gesagt: Nur, dass alle Veranstaltungen in Frankfurt verboten sind. Ich saß sechs Stunden in dem Bus fest. Wir durften nur zum Klo raus. Mit der Gepäckkontrolle hat das Ganze sieben Stunden gedauert. Jetzt habe ich ein Aufenthaltsverbot für die Innenstadt - bis Sonntag 24 Uhr. Ich darf nicht einmal an der Demo teilnehmen. Dass etwas passiert, überrascht mich nicht, aber dass es so krass wird, hätte ich nicht gedacht.

Wir durften uns schließlich in Fünfergruppen mit 200 Meter Abstand zur nächsten U-Bahn-Station entfernen. Das hatten unsere Anwälte ausgehandelt. Doch als wir ankamen, stand da Polizei und hat gesagt: Geht nicht. Irgendwann wurden wir von Freunden abgeholt.

Das hat mich alles ziemlich demoralisiert. Wir wurden komplett zersprengt und waren nur noch 100 Leute in einem Camp weit außerhalb der Stadt. Ich hatte den Eindruck, dass alles vorbereitet war. Es war nicht wichtig, was die Kontrolle bringt. Das war pure Schikane. Ich glaube, die wollten, dass möglichst wenig von uns sichtbar ist. Die wollten, dass wir Schiss bekommen. Ich habe Widerspruch eingelegt, aber darüber ist noch nicht entschieden. Stefan, 24, Student. (Protokoll: Ines Wallrodt)

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