Kriminaltango im Krankenhaus

Ärzte räumen Zuweisungen von Patienten gegen Entgelte ein, ihre Funktionäre streiten das ab

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Laut einer Studie der Universität Halle-Wittenberg im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen zahlt jede vierte Klinik sogenannte Fangprämien für Patienten. Fast die Hälfte der Leistungserbringer wie Sanitätshäuser, Hörgeräteakustiker oder Schuhmacher hätte zugegeben, Geld, Tagungskosten oder Sachleistungen erhalten zu haben.
Zeichnung: Andreas Pruestel
Zeichnung: Andreas Pruestel

»Und dann gehen Sie mal wieder zum Stressecho, hier ist ihre Überweisung. Soll ich gleich für Sie nach einem Termin fragen?« Schon hält die freundliche Hausärztin den Telefonhörer in der Hand. Eine harmlose Situation, vielleicht durch einen Versorgungsvertrag abgedeckt - oder kassiert die Ärztin vom empfohlenen Internisten ein Entgelt für die Überweisung?

Die repräsentative Studie der Universität Halle bestärkt Patienten in ihrem Misstrauen darin, ob sie wirklich die medizinisch notwendigen Leistungen bekommen. Oder ob nicht andere Faktoren bei der Empfehlung für den Orthopäden, die Klinik oder die Krankengymnastin eine viel wichtigere Rolle spielen. Das beauftragte Economy & Crime Research Center fand heraus, dass es nicht nur einzelne »schwarze Schafe« sind, die sich für eine gezielte Zuweisung von Patienten bezahlen lassen. Unter Leitung des Strafrechtlers Kai Bussmann wurden 1141 Mediziner, leitende Mitarbeiter von Kliniken und nichtärztliche Leistungserbringer befragt. Was diese freiwillig über Vorteilsnahme äußerten, lässt nach Einschätzung der Forscher mindestens auf ein »erhebliches Korruptionspotenzial« schließen, wenn nicht sogar auf eine für viele Beteiligte übliche Praxis.

So nannten 14 Prozent der befragten niedergelassenen Ärzte Zuweisungen von Patienten gegen wirtschaftliche Vorteile »üblich«, 35 Prozent stimmten dem teilweise zu. Weitere 20 Prozent meinten, dass dies häufig vorkomme. Noch viel »normaler« scheint ein solches Vorgehen den Vertretern der Krankenhäuser und der großen Berufsgruppe vom Apotheker über den Hörgeräteakustiker bis zum orthopädischen Schuhmacher. Vor allem in der letztgenannten Gruppe der nichtärztlichen Leistungserbringer werden gravierende wirtschaftliche Nachteile beklagt. Eher weniger beklagen sich bisher die Ärzte, die mehrheitlich in entsprechenden Situationen eben keine Hilfe bei Ärztekammer oder den ab 2009 neu eingerichteten Clearingstellen bei den Landesärztekammern suchten. Im Zuge der Untersuchung äußerten sich aber bestimmte Facharztgruppen, darunter Radiologen, in der Weise, dass sie gerne einmal ausführlicher über die an sie gerichteten »Forderungen für Zuweisungen« sprechen würden, so Bussmann.

Wenn sich Ärztekammerpräsident Montgomery in Reaktion auf die Studie gegen pauschale Verdächtigungen der Krankenkassen in diesem Zusammenhang wehrt, übersieht er jedoch die Defizite ärztlicher Standespolitik, die aus den Ergebnissen ebenfalls abzulesen sind. Danach kennen 13 Prozent der befragten Ärzte die entsprechenden berufsrechtlichen Normen nicht, 6 Prozent sind nicht einmal daran interessiert. 44 Prozent der Ärzte sehen darin allenfalls eine Handlungsorientierung. Mehr als die Hälfte redet sich mit einer unübersichtlichen Rechtslage heraus, obwohl auch 83 Prozent eingestehen, dass Zuweisungen gegen wirtschaftliche Vorurteile klar verboten sind.

Der Jurist Bussmann und auch Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, räumten ein, dass es neben den Grauzonen auch zulässige Kooperationen im Gesundheitswesen gebe. Kiefer kritisierte aber, dass sich die offensichtlich weit verbreitete Praxis der Fangprämien »wie Mehltau über die vorhandenen Strukturen« lege. So würde Wettbewerb eher verhindert. Eine absolute Informationslücke seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen bemerkt Anke Martiny von Transparency International: »Wenn Ärzte Bares für Zuweisungen zahlten, brauchen sie eine schwarze Kasse. Und dafür ist schon eine erhebliche kriminelle Energie notwendig.«

Bislang scheinen aber die Sanktionsmöglichkeiten bei solchen Geschäften ein stumpfes Schwert: Die Musterberufsordnung der Ärzte erlaubt keine Zuweisungen gegen Entgelt und muss von den Ärztekammern umgesetzt werden, die Geldbußen bis zu 50 000 Euro verhängen können. Im Sozialrecht gibt es die Option, bei Verstößen gegen vertragsärztliche Pflichten den Entzug der Zulassung zu beantragen. Im Strafrecht steht immer noch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus, ob sich niedergelassene Vertragsärzte überhaupt der Korruption strafbar machen können.

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