Der glückliche Präsident

Das Herrschaftsprinzip des FIFA-Chefs Blatter funktioniert auch unter Druck schwerer Korruptionsvorwürfe

Keine Rücktrittsforderungen, keine Rechtfertigung für Schmiergeldzahlungen an die FIFA. Die Sitzung des Exekutivkomitees des Weltfußballverbandes in Zürich war nicht nur ein Heimspiel für den Schweizer Präsidenten - Joseph Blatter durfte sich als großer Reformer präsentieren.

Natürlich lief gestern im »Home of FIFA«, dem Sitz des Weltfußballverbandes, alles nach Plan. »Nein, wir haben nicht darüber gesprochen«, antwortete FIFA-Präsident Joseph Blatter nach der Sitzung des Exekutivkomitees auf Fragen nach seinem Rücktritt. Stattdessen präsentierte er stolz die neue, unabhängige Ethikkommission: »Sie sehen einen glücklichen Präsidenten. Unser Reformprozess geht weiter.« Für die rechtsprechende Kammer der Kommission wurde der Deutsche Hans-Joachim Eckert als Vorsitzender nominiert, die ermittelnde Kammer leitet der US-Amerikaner Michael Garcia.

Enttäuscht wurden diejenigen, die nach den belegten Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe an die FIFA durch den Sportvermarkter ISMM/ISL mehr erwartet hatten. Bestätigt wurden jene, die den Verband nach wie vor als Hort der Korruption sehen.

Im Mai 2010 wurde das Teilverfahren in der ISMM/ISL-Affäre gegen den Weltfußballverband gegen eine Zahlung von rund 4,6 Millionen Euro eingestellt und die meisten Namen der am Geldfluss Beteiligten anonymisiert. Der Beharrlichkeit einiger Journalisten und Medien ist es zu verdanken, dass die Einstellungsverfügung durch das Schweizer Bundesgericht am 3. Juli öffentlich gemacht wurde - gegen den Widerstand der FIFA.

Daraus geht hervor, dass die ISMM/ISL zwischen 1989 und dem Konkurs 2001 rund 133 Millionen Euro an Provisionen an hochrangige Funktionäre aus der Welt des Sports gezahlt hat, um später noch sehr viel mehr mit Fernsehrechten bei Großereignissen und mit Sponsorenverträgen zu verdienen. Soviel ist zumindest dokumentiert.

Ein sogenannter Business-Partner und somit Empfänger von Schmiergeld-Millionen war die FIFA. Wenngleich Blatter namentlich nicht erwähnt ist, indirekt wird auch der Präsident belastet. »Nicht in Frage gestellt werden kann die Feststellung, dass die FIFA Kenntnis von Schmiergeldern an Personen ihrer Organe hatte«, urteilt das Schweizer Bundesgericht. In den 41 Seiten der Einstellungsverfügung taucht viermal das Kürzel »P1« auf. Die Zusammenhänge lassen kaum einen anderen Schluss zu, als dass dahinter die Person Joseph Blatter steht. Zudem wird deutlich, dass Korruption bei der FIFA System hat.

Dieses System beschrieb der schottische Enthüllungsjournalist Andrew Jennings in seinem 2006 erschienenen Buch »Foul« schon sehr konkret und verband es mit der Herrschaft Blatters. Wie es funktioniert, zeigt ein Blick auf weitere Skandale in dessen Amtszeit. Als während der Fußball-WM in Deutschland ein Ticketskandal für Aufsehen sorgt, muss Ismail Bhamjee, Exekutivkomittemitglied aus Botswana, sofort alle WM-Aufgaben abgeben und Deutschland verlassen. Er hatte zwölf WM-Karten zu teuer verkauft. Blatter beruhigte die Aufregung mit einem kleinen Opfer. Jack Warner, Exekutivmitglied aus Trinidad und Tobago und als Präsident des Nord- und Zentralamerikanischen Verbandes ein immens wichtiger Stimmenbeschaffer Blatters, kam mit einer Rüge davon. Er hatte Tausende WM-Tickets zum Normalpreis gekauft und überteuert verkauft. Als Warner jedoch zu viele Ansprüche stellte, ließ Blatter ihn 2011 über die hauseigene Ethikkommission stolpern.

Noch grotesker offenbarte sich Blatters Herrschaftsprinzip des Gebens und Nehmens 2006. Obwohl die FIFA einen laufenden Sponsoringvertrag mit dem Kreditkartenunternehmen »Mastercard« hatte, wurde ein neuer mit dem Konkurrenten »Visa« abgeschlossen. Ein New Yorker Gericht verurteilte dieses Vorgehen als rechtswidrig. Die FIFA zahlte 60 Millionen Euro Entschädigung, die durch den neuen Vertrag mehr als gedeckt waren. Der damalige Marketingchef, Jerome Valcke, musste als Hauptverantwortlicher die FIFA verlassen. Vor Gericht verteidigte er den Vertragsbruch als normales Geschäftsgebaren und musste zugeben, in den Verhandlungen gelogen zu haben. Treue und Ergebenheit weiß Blatter allerdings zu schätzen. Kaum ein Jahr später durfte sich Valcke wieder als getreuer Gefolgsmann in die FIFA-Reihe stellen - als Generalsekretär!

Folgende Worte übermittelte Blatter gestern aus dem Exekutivkomitee: »Wir folgen dir, denn wir sitzen alle in einem Boot.«

Die Wahlen Blatters

● Auf dem FIFA-Kongress am 7. und 8. Juni 1998 in Paris wird der Schweizer Joseph Blatter erstmals zum Präsidenten gewählt. Hatten die afrikanischen Delegierten zuvor seinem Konkurrenten Lennart Johansson aus Schweden ihre Unterstützung zugesichert, stimmten sie letztlich doch für Blatter. Am Tag vor der Wahl sollen 20 Briefe mit je 50 000 Dollar an afrikanische Funktionäre übergeben worden seien.
● Die Wiederwahl Blatters auf dem FIFA-Kongress am 28. und 29. Mai 2002 in Seoul wird erneut von schweren Vorwürfen begleitet. Einige Wochen zuvor hatte der Präsident die interne Untersuchungskommission zur Finanzsituation des Verbandes suspendiert. Auf dem Kongress brach er die Debatte darüber ab, weil die dafür angesetzte Zeit überschritten war. FIFA-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen hatte in einem 21-seitigen Dossier Belege für korrupte Praktiken wie Finanzmanipulation, Bestechung und Amtsmissbrauch gesammelt. Nichtsdestotrotz gewann Blatter die Wahl gegen den Herausforderer Issa Hayato aus Kamerun. Zen-Ruffinen muss gehen, die Strafanzeigen auf Grundlage seines Dossiers gegen Blatter und elf Mitglieder des Exekutivkomitees lässt ein Zürcher Anwalt im Dezember fallen.
● Am 31. Mai 2007 hat Blatter ein Heimspiel. Den FIFA-Kongress in Zürich, Hauptsitz des Verbandes, genießt er sichtlich. Eine Opposition existiert ebenso wenig wie ein Gegenkandidat. Die Wahl ist ganz nach seinem Geschmack: »Es ist mir eine große innere Freude, dass Sie mich als Präsidenten walten lassen.« Per Akklamation wird seine dritte Amtszeit bestätigt.
● 2011, wieder Zürich: Kurz vor der Präsidentenwahl spricht die Ethikkommission der FIFA Blatter frei, seine Gegner im Exekutivkomitee, der Katari Mohammed bin Hammam und Jack Warner aus Trinidad und Tobago, werden vorläufig suspendiert. Sie sollen für die Wahl bin Hammams zum Präsidenten Stimmen gekauft haben. Blatter wusste von nichts und wird am 1. Juni mit 186 von 203 Stimmen bis 2015 wiedergewählt.⋌alu

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