Tiere im Tollhaus

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Autor ist Redakteur des »nd« und schreibt unter anderem zu Themen aus dem Bereich Tierrechte/Tierethik.
Der Autor ist Redakteur des »nd« und schreibt unter anderem zu Themen aus dem Bereich Tierrechte/Tierethik.

»Es ist nicht das zu tun, was mir ein Anwalt sagt, dass ich es darf, sondern, was mir Menschlichkeit, Vernunft und Gerechtigkeit gebieten.« Edmund Burke (1729-1797) schrieb dies in seinen »Philosophischen Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen«. Der irische Politiker und Philosoph gilt als geistiger Vater des Konservatismus. Doch sein zitiertes Diktum ist von nachgerade revolutionärer Brisanz. Beispielsweise mit Blick auf den Umgang mit Tieren, Tierschutz und Tierrechten in Europa. Seit Jahrzehnten wird national und EU-weit daran gebosselt, »was mir ein Anwalt sagt, dass ich es darf«, sprich: Wie das tagtäglich Millionen sogenannten Nutztieren zugefügte Leid in juristische Normen gegossen werden kann, wie ihr elendes Leben und Sterben die zweifelhafte Weihe von immer neuen Paragrafen erhält.

Tierschutzgesetze sind Tiernutzgesetze. Daran ändern letztlich alle durch hartnäckigen Einsatz von Tierschützern erkämpften - meist marginalen - Verbesserungen nichts. Und Gesetze, die die wirtschaftliche Ausbeutung von derart wunderbar wehrlosen Kreaturen ernsthaft behindern, gehören ins Reich der Illusion. Zudem ist die Welt profitabler Möglichkeiten größer als die EU. So wurde in Letzterer durch geringfügige Vergrößerung der Legehennenkäfige der Gigantismus von Hühnerfabriken zwar etwas gedämpft. Aber da gibt es ja noch andere Länder. Wie die Ukraine. Dort will jetzt ein deutscher Exporteur zwei Anlagen für insgesamt acht Millionen Hühner errichten. Zum Vergleich: In Deutschland sind höchstens 50 000 Tiere in einer Hühnerfabrik eingepfercht. Das Tolle am Ukraine-Geschäft: Das Bundeswirtschaftsministerium übernahm dafür sogar die Kreditbürgschaft. Tollhaus EU.

Als würde es nicht reichen, dass jedes Jahr in der EU rund fünf Milliarden Tiere (ohne Wassertiere) für den Verzehr sterben müssen: Selbst für die sogar von vielen Fleischessern als besonders grausam abgelehnten Aufzuchtmethoden findet sich eine lautstarke Lobby. So für »Foie gras«, die französische Stopfleber, für deren Erzeugung jedes Jahr 30 Millionen Gänsen und Enten mittels Stahltrichter der Futterbrei brutal in den Magen gepresst wird. Stopfleber-Gegner aus Belgien haben Frankreichs Präsident François Hollande jetzt eine vegetarische Alternative zu der vorgeblichen Delikatesse zukommen lassen: eine Pastete aus Trüffeln und Champagner. Immerhin gehört die grausame Herstellung von »Foie gras« zu jenen Tierquälereien, die auf einen Schlag beendet werden könnten, ohne die - ansonsten gern bemühte - Versorgung der »Verbraucher« auch nur ansatzweise zu gefährden. Dennoch gäbe es in Frankreich sicher einen Sturm der Entrüstung, wenn die als nationales »Kulturerbe« verehrten Qualprodukte vom Markt verschwänden.

Ebensolche Reaktionen wären wohl in Spanien zu erwarten, wenn das grausame wie überflüssige Spektakel des Stierkampfes von europäischen Instanzen angetastet würde. Glücklicherweise ist das Gegenteil der Fall. Der EU-Vertrag von Lissabon nimmt beim Tierschutz ausdrücklich auf solche »kulturellen Traditionen« Rücksicht - und stellt ihnen damit einen Freibrief aus. Die Brüsseler Eurokratie fördert den Stierkampf zudem mit Millionensubventionen, da auch Züchter von Kampfstieren Anspruch auf Bezuschussung haben.

Zwar werden hierzulande weder Stopfleber produziert noch Stiere in der Arena massakriert. Doch wer einen Blick auf die gefüllten Fleischtheken deutscher Supermärkte wirft, sollte sich vielleicht bisweilen fragen, ob die »Produktion« dieser Körperteile von Rindern, Schweinen oder Hühnern über den Status des Erlaubten hinaus auch Maßstäben entspricht, wie sie Burke setzte: »Menschlichkeit, Vernunft und Gerechtigkeit«.

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