Wer prügelt, fliegt raus

Wohnungsverweise bei häuslicher Gewalt bewähren sich in Thüringen

  • Lesedauer: 3 Min.
Wer zu Hause den Partner verprügelt, muss heutzutage damit rechnen, vor die eigene Tür gesetzt zu werden. In jedem zehnten Fall greifen Thüringer Polizisten zu diesem Mittel. Opferschützer halten es für sehr erfolgreich.

Erfurt (dpa/nd). Wer prügelt, muss erst einmal raus. Solche Verweise aus der eigenen Wohnung, ausgesprochen von der Polizei, sind nach Ansicht von Experten ein erfolgreiches Konzept. »Die Haustür bietet Tätern in Thüringen keinen Schutz«, sagte der Sprecher der Landespolizeidirektion, Dirk Sauter, in Erfurt. Seit einer Änderung des Polizeiaufgabengesetzes im Jahr 2008 können die Beamten Täter bis zu zehn Tage aus deren Wohnung verweisen, wenn den dort lebenden Opfern weiter Gefahr droht.

Die Beamten machen mittlerweile in mehr als jedem zehnten Fall von häuslicher Gewalt davon Gebrauch. Die »Rote Karte« erhielten prügelnde Männer und Frauen im Freistaat im vergangenen Jahr 423 Mal. »Es ist gut, wenn nicht die Opfer die Wohnung verlassen müssen, sondern die Täter«, sagte Sabine Guntau von der Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt des Thüringer Sozialministeriums.

Polizisten hatten zwar schon vor 2008 die Möglichkeit, die Täter wegzuschicken. »Aber mit dem Wohnungsverweis gibt es einen besseren gesetzlichen Rahmen«, sagte Sauter. Wenn Straftaten wie Körperverletzung begangen wurden, erstattet die Polizei automatisch Anzeige. In der Ergänzung des Polizeiaufgabengesetzes wurde zudem festgeschrieben, dass die Beamten die Opfer über Beratungs- und Hilfsangebote informieren müssen. Auf Wunsch, werden die Kontaktdaten dann an regionale Interventionsstellen weitergeleitet.

Diese beraten die Opfer, wie sie sich verhalten und gegebenenfalls auch gerichtlich gegen ihre Peiniger vorgehen können. »Aus unser Perspektive ist das sehr positiv. Viele wüssten sonst gar nichts von unseren Angeboten«, sagte Kathrin Engel von der Interventionsstelle Südost in Gera. Aus Sicht der Opferschützer sollte die Weitergabe der Daten jedoch auch ohne eine Einwilligung der Opfer erfolgen. »In drei Bundesländern ist das bereits so geregelt, und auch für Thüringen würden wir uns das wünschen«, sagte Sabine Guntau. Zudem schämten sich Betroffene oft noch, sich um Hilfe zu bemühen. »Die Gesellschaft gibt ihnen das Gefühl, dass sie das selbst klären müssten«, sagte Guntau. Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge erfährt in Deutschland jede vierte Frau Gewalt in ihrer Familie.

In Thüringen ist die Zahl der von der Polizei registrierten Fälle seit Einführung des Platzverweises um nahezu die Hälfte gestiegen. Verzeichneten die Behörden im Jahr 2008 noch 2172 Fälle, kletterte deren Zahl bis 2011 auf 3185. »Das ist aber kein Indiz dafür, dass es zwangsläufig mehr Fälle geworden sind. Es zeigt vielmehr, dass die Sensibilität in der Gesellschaft gegenüber häuslicher Gewalt gestiegen ist und sich mehr Menschen damit an die Polizei wenden«, sagte Guntau.

Die Mehrheit der Gewalttäter sind weiterhin Männer. Die Polizei registrierte aber 541 Fälle, in denen Frauen gewalttätig wurden. »Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um Gewalt von Frauen gegen Männer, sondern auch gegen Kinder oder andere Angehörige«, so Guntau.

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