Zwanzig Tage nichts als eine weiße Wand vor Augen

550 Kilometer Grönlanddurchquerung liegen hinter Robby, für ihn »die härteste und größte Herausforderung meines Lebens«

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.
Die ganze Gruppe hat das Ziel erreicht.
Die ganze Gruppe hat das Ziel erreicht.

Endlich gibt es wieder ein Lebenszeichen von Robby. Nach fast vier Wochen im ewigen Eis meldete er sich per Skype zurück. Der erste optische Eindruck: Das Gesicht wächst langsam zu, aber ansonsten macht er einen putzmunteren Eindruck. Die Erleichterung, »den schwierigsten Lauf meines Lebens« erfolgreich abgeschlossen zu haben, ist ihm deutlich anzumerken. »Bist du gesund durch Schnee und Eis gekommen?«, frage ich ihn. Die Antwort: »Jein!« Er habe sich einige Erfrierungen an den Fingern der linken Hand zugezogen, »amputiert werden müssen sie nicht«, fügt er mit einem Grinsen an, »doch als kribbelndes Souvenir aus Grönland werden sie mich auf meinem weiteren Lebensweg wohl begleiten.«

Und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Es war absolut die Härte, aber er ist sich sicher – obwohl er gerade mal 550 Kilometer von insgesamt 25 000 zurückgelegt hat – dass der schwierigste Teil der Tour vom Nordpol zum Südpol hinter ihm liegt. Und das nicht nur deshalb, weil er fast vier Wochen lang gemeinsam mit einer Gruppe »Verrückter« wie er bei 20 Grad Minus und fast täglichen extremen Schneestürmen die Eiswüste Grönland von West nach Ost erfolgreich durchquert hat. »Ich habe einen entscheidenden Fehler gemacht, der mir fast zum Verhängnis geworden ist«, erzählt er. Statt, wie angesagt, einen Fünf-Liter-Kanister Benzin auf seinen Pulka zu laden, packte er drei davon ein. »Ich hatte wohl nicht richtig hingehört«, gibt er zu. Jeder in der Gruppe hatte zwei Pulkas hinter sich herzuziehen, einen mit persönlichen Sachen, den anderen mit dem, was alle für vier Wochen brauchen. Nicht nur, dass Robby sich zehn Liter zusätzliches Benzin auflud, er packte auch mehr an persönlichen Sachen ein, als notwendig waren. »Wir zogen am ersten Tag los, und ich habe mich die ganze Zeit gewundert, warum die anderen so locker vorwärts kamen und ich mich mit fast 100 Kilo Gepäck so schinden musste, dass ich schon befürchtete, gleich am ersten Tag aufgeben zu müssen«, gesteht er. Das Gewicht war schon schlimm genug, noch schlimmer war, dass es die ganze Zeit über Eisfelder mit zum Teil riesigen Rissen ging. »Ich hatte zu tun, dass mir die schweren Pulkas nicht in die Spalten rutschen. Am Abend war ich fix und fertig.« Zum Glück waren die anderen »alte Hasen«, alle hatten schon einmal eine ähnliche Expedition gemacht, sie halfen dem »Frischling«, mit seiner Last besser klarzukommen.

Der Umgang miteinander hat Robby ganz besonders imponiert. »Ich habe ganz selten in meinem Leben so viel Hilfsbereitschaft erlebt, wie in dieser Truppe. Jeder hatte mal ein Tief, doch dank der anderen ging es immer wieder weiter, wenn du schon glaubtest, nicht mehr zu können.«

Auf meine Frage, was das Schlimmste war, muss Robby nicht lange überlegen. »Wir sind 20 Tage immer bergauf gegangen bis auf eine Seehöhe von 2500 Meter. Die ganze Zeit über haben wir beim Laufen eine weiße Wand vor Augen gehabt. Das zermürbt dich auf Dauer. Zehn Stunden täglich gegen eine Wand anlaufen und nicht zu wissen, wann man den Gipfel erreicht, war furchtbar. Außer uns waren noch zwei andere Expeditionen unterwegs, wir hörten und sahen jeden Tag Hubschrauber, die Leute ausflogen, die das kräftemäßig und nervlich nicht ausgehalten haben.«

14 Kilogramm hat Robby auf den 550 Kilometern abgenommen, die Seile der schweren Pulkas haben die Schultern aufgerissen, das ständige kraftvolle Abstoßen mit den Skistöcken hat zu extremen Verspannungen im Rücken geführt. Je länger man am Tag unterwegs war, desto mehr sehnten alle den Rastplatz herbei. Doch auch, wenn er endlich erreicht war, konnte man noch lange nicht ins Zelt kriechen und schlafen. Erst einmal mussten die Zelte ja aufgebaut werden, Essen gekocht werden (»jetzt weiß ich, wie schlimm es ist, wenn die Streichhölzer nass werden«). Wer schon mal versucht hat, sich in einem winzigen Zelt auszuziehen, kann sich eine Vorstellung davon machen, wie es ist, wenn man zu zweit in so einem Miniteil ist und dann noch versucht, die schweren, dicken Winterklamotten vom Körper zu bekommen. Mal schnell vor das Zelt zum Umziehen gehen, fiel natürlich bei Minus 20 Grad flach. Und man muss auch ganz Schamgrenzen überwinden, erzählt Robby. Toiletten gibt es natürlich nicht im ewigen Eis, und wenn man sich endlich ein Loch ins Eis gebuddelt hat, muss man damit rechnen, dass einem alle beim »Geschäft« zusehen. Denn mal schnell hintern Busch ist eben nicht möglich. Überhaupt sollte man sich möglichst nicht weit vom Rastplatz entfernen. Nicht nur deshalb, weil es in der Region tierische Mitbewohner gibt, die alles andere als Kuscheltiere sind. Solange die Skier an den Füßen sind, ist alles einigermaßen o.k., so Robby, »doch wehe, du machst sie ab. Dann kann es Dir passieren, dass du schlagartig bis über die Knie im Schnee versinkst. Da wieder rauszukommen, kostet unglaublich viel Kraft.«

Gab es außer am verflixten ersten Tag noch mal einen Moment, an dem er aufgeben wollte, frage ich ihn. »Nicht nur einmal, mehrfach beschlich mich so ein Gedanke. Aber dann musste ich an die vielen Leute denken, die auf mich setzen, die mir in so vielen E-Mails mitgeteilt haben, wie stolz sie auf mich sind. Ich konnte und wollte sie nicht enttäuschen. Da ist zum Beispiel ein krebskranker Mann, der mir geschrieben hat, dass er kämpfen will, so wie ich es tue. Da konnte ich doch nicht einfach aufgeben!«

Als die Gruppe Anfang der Woche das Ziel sogar einen Tag früher als geplant erreichte, war allen die Erleichterung und das Glück anzusehen. »Ich glaube, mein Adrenalinspiegel lag am Anschlag!«, ist Robby noch immer ganz euphorisch. »Es war eine Erfahrung, die mich ans Limit gebracht hat, die ich aber um nichts in der Welt missen möchte. Ich habe mir einen Traum erfüllt.«

Jetzt ruht er sich mit Blick auf eine traumhafte Gletscherwelt noch bis zum 12. Juni in Grönland aus, genießt, wieder mit einem richtigen Dach überm Kopf in einem normalen Bett zu schlafen, sich duschen und die dicke Jacke auch mal ausziehen zu können, dann fliegt er nach Montreal, wo er am 16. Juni zur nächsten Etappe starten wird.

Glücklich im Ziel
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