Minenfelder im Luftraum über Syrien

Für Bundeswehr-Tornados ist bisher alles »handhabbar«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Nachdem die USA am Sonntag einen Jagdbomber der syrischen Luftwaffe 40 Kilometer südwestlich von Raqqa - also über syrischem Gebiet - abgeschossen haben, reagierte das russische Verteidigungsministerium am Montag verbal harsch. Man kappte - nicht zum ersten Mal - den »heißen Draht«, mit dessen Hilfe die westliche Anti-IS-Koalition und die russisch-syrischen Streitkräfte gefährliche Zwischenfälle im gemeinsam benutzten Luftraum vermeiden wollen.

Das nun eingefrorene Deeskalationssystem war am 10. September 2016 zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem damaligen US-Kollegen John Kerry ausgehandelt worden. Es ist ein wichtiges Bindeglied, das es Moskau und Washington ermöglicht, sich gegenseitig über Luftoperationen zu informieren. Auch weil man oft konkurrierende Ziele verfolgt.

Das Aussetzen dieser Kommunikationsmöglichkeit ist kein Problem der Flugsicherheit. Seit die NATO das AWACS-System fliegen lässt, hat man eine gute Übersicht über das Geschehen. Gleiches ermöglichen fliegende russische Gefechtsstände.

Fortan bekommen diese Systeme eine zusätzliche Bedeutung. Denn, so das Moskauer Verteidigungsministerium, ab sofort würden »alle Flugobjekte, einschließlich Flugzeuge und Drohnen der internationalen Koalition«, die westlich des Euphrat-Flusses entdeckt werden, von der russischen Flugabwehr und Luftwaffe verfolgt und als »Ziele« betrachtet.

Die Erklärung ist fein, aber deutlich formuliert. Verfolgt und betrachtet bedeutet, dass man die Radargeräte der bodengebunden wie der fliegenden Luftabwehr auf die fliegenden Objekte - wie es in der Fachsprache heißt - aufschaltet. Diese Zielerfassung wird im Cockpit des Ziels angezeigt. Eine Warnung, denn es fehlt nur ein Knopfdruck bis zur möglichen Vernichtung. Zugleich lässt Russland, das ja auf Einladung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad in Syrien kämpft, keinen Zweifel darüber aufkommen, wer beim Aufschalten »am Drücker« ist. Das schreckt - so man keine Eskalation will - vor Gegenwirkung ab.

Die Ansage wurde erst teilweise verstanden. Während die Royal Australian Air Force ihre sechs im Rahmen der Anti-IS-Aktivitäten eingesetzten F-18-Maschinen am Boden lässt, blickt man im deutschen Verteidigungsministerium auf die Landkarte und meint auf nd-Anfrage: Die Situation ist »handhabbar«. Dennoch hoffe man, dass sich die Situation »bald wieder normalisiert«.

Offenkundig hat die Situation zwar nicht das Zeug für einen ganz großen Ost-West-Konflikt, für eine Eskalation des vielschichtigen Krieges um Syrien und Irak taugt sie aber sicher. Zumal hier ja von keiner Seite nach völkerrechtlichen Vorgaben gekämpft wird. Es ist zu befürchten, dass es künftig zu weiteren Konflikten dieser Art kommt. Militärisch ist festzustellen: Je weiter der Islamische Staat an Kraft und Gebiet verliert, um so enger werden die Handlungsräume der vielen kämpfenden Parteien.

Politisch betrachtet wächst das Bedürfnis, territoriale Tatsachen zu schaffen, die bei kommenden Verhandlungen um das Schicksal Syriens unverrückbar sind. Die ölreiche Deir-Ezzor-Provinz und das Euphrat-Tal sind dabei Schlüsselgebiete. Dort treffen vor allem Interessen syrischer Kurden mit denen von Assad aufeinander. Auch die Absicht Damaskus’, irgendwann einen sicheren Korridor über Irak nach Iran zu schaffen, hängt von den politischen Konstellationen in diesem Gebiet ab.

Bereits mehrfach haben die USA syrische Armee-Einheiten beschossen, wenn die den sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) zu sehr auf den Leib gerückt sind. Die bestehen aus verschiedenen kurdischen und arabischen Einheiten. Das Assad-Regime sieht in den westlich gelenkten Einheiten zu Recht eine herannahende Bedrohung.

Die mobilen SDF-Verbände werden massiv von US- und britischen Spezialeinheiten unterstützt. Besteht die Gefahr einer Begegnung mit syrischen Truppen oder iranischen Milizen, wird einmal gewarnt, dann kommen die US-Jagdbomber. Ist deren Triebwerksgeheul nicht deutlich genug, gibt es Tote. Am Boden.

Am 8. Juni soll eine iranische Shahed-129-Drohne über US-geführten SDF-Verbänden aufgetaucht sein. Sie griff an, ein US-Jäger schoss die unbemannte Maschine ab. Dann sei zielsuchend ein syrischer Jagdbomber aufgetaucht. Im Gegensatz zu seinem Kollegen am Sonntag sah dieser syrische Pilot rasch die Überlegenheit einer US-amerikanischen F-15-Maschine ein, warf seine Bomben ins Niemandsland und machte sich davon. Am gestrigen Dienstag nun wurde erneut der Abschuss einer iranischen Drohne vermeldet. Die Spannungen nehmen zu.

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