Eine Brücke wird abgebrochen

Stiftung für deutsch-tschechische Zusammenarbeit in Dresden muss Arbeit einstellen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

»Rübezahl und seine Freunde« heißt ein Seminar, zu dem die Brücke-Most-Stiftung im Oktober nach Polen einlädt. Es geht freilich nicht um Märchen, sondern um Migration, die gerade im 20. Jahrhundert in der Geschichte Deutschlands und Polens ein heißes Eisen war - Stichwort Umsiedlung und Vertreibung. Die Stiftung hat in den 20 Jahren seit ihrer Gründung viele solcher heiklen Themen in den Beziehungen zwischen Deutschland und den Nachbarländern Tschechien und Polen bearbeitet - immer im Bestreben, eine Verständigung jenseits gegenseitiger Schuldzuweisungen zu ermöglichen. Bald ist damit freilich Schluss. Ende 2017, so wurde unlängst mitgeteilt, stellt die Stiftung ihre operative Arbeit ein.

Es ist ein herber Verlust für die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Die Stiftung, die von dem Freiburger Politologen Helmut Köser im Jahr 1997 gegründet wurde, ist eine von ganz wenigen privaten Institutionen, die sich um das Verhältnis zu Tschechien kümmert - und dabei, anders als lange Zeit die Vertriebenenverbände, auf Vorhalte und Vorbedingungen verzichtete. In welchem Geist sie arbeitet, zeigt bereits ihr Name: »Most« ist das tschechische Wort für Brücke. Es ist bezeichnend, dass sie ausgerechnet im Jahr der deutsch-tschechischen Erklärung gegründet wurde, die als »Versöhnungsdeklaration« bezeichnet wird - und die in einem Exemplar in die Turmkugel jener Villa in Dresden-Striesen gelegt wurde, in der die Stiftung Veranstaltungen und Seminare abhält.

Dass sie diese Arbeit, die seit einigen Jahren auf Polen ausgedehnt wurde, bald einstellen muss, liegt laut Stiftung an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Sie bewirke, dass die Erträge aus dem Stiftungskapital die Ausgaben nicht mehr decken, sagt Peter Baumann, der Geschäftsführer. Nach seinen Angaben sind die Einnahmen gegenüber 2004 auf gut 40 Prozent gesunken. Zwar gab es Sparmaßnahmen. So wurde ein Büro in Freiburg, der Heimatstadt des Stifters, aufgelöst. Dennoch habe dieser Jahr für Jahr Geld nachschießen müssen - was nun beendet werden solle. Die Stiftung wird nicht aufgelöst; eigene Projekte führt sie aber nicht mehr durch.

Bisher unterbreitete sie vor allem für Jugendliche ein einzigartiges Angebot. Lange organisierte sie an sächsischen Schulen Gespräche mit tschechischen NS-Zwangsarbeitern und Überlebenden des Holocaust. Später wurde das Repertoire ergänzt durch vielfältigste Veranstaltungen der politischen Bildung: Jugendbegegnungen, Familienseminare, Stipendien, ein Kunstpreis. Ein Schwerpunkt sei zunehmend der Umgang mit Rechtspopulismus gewesen, der in Tschechien und Polen ebenfalls grassiere, sagt Referentin Susanne Gärtner. Öffentlich wahrgenommen wurde die Stiftung vor allem als Ausrichter der deutsch-tschechischen Kulturtage im Raum Dresden und Ústí nad Labem.

Gespräche dazu, wie deren Fortbestand auch nach Ende 2017 gesichert werden kann, gebe es derzeit, heißt es aus dem sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Die Kulturtage, die vom Freistaat mit 80 000 Euro im Jahr gefördert wurden, seien »von großem Stellenwert für Sachsen« - ebenso wie die weitere Bildungsarbeit der Stiftung, heißt es im Ressort von SPD-Ministerin Eva-Maria Stange auf Nachfrage. Gleichzeitig weist man Klagen über eine in all den Jahren nie zustande gekommene feste Förderung zurück. Peter Baumann hatte dies damit erklärt, dass die grenzen- und genresübergreifende Arbeit der Stiftung »überall durch die Raster gefallen« sei. Im Ministerium verweist man indes darauf, dass es schon 2010 Konsolidierungsbedarf gab, entsprechende Vorhaben aber vom Vorstand »wohl nur sehr zurückhaltend umgesetzt« worden seien. Der Freistaat habe nicht die Möglichkeit, jährliche Defizite einer privaten Stiftung »durch Zuführung von Fördermitteln abzubauen«.

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