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Die gesamte kapitalistische Zivilisation steht vor Gericht

Bei der Weltklimakonferenz in Bonn tagte das Internationalen Tribunal für die Rechte der Natur / Angeklagt sind unter anderem Deutschland, Argentinien und die USA

  • Alberto Acosta
  • Lesedauer: 3 Min.

»Für ein Unternehmen hat ein Baum keine Bedeutung«, erzählt uns Mirian Cisneros, Dorfvorsteherin der Quechua-Gemeinde in Sarayaku in Ecuador. »Wenn ein Baum gefällt wird, dann werden Haus der heiligen Geister zerstört«, sagt die Amazonas-Indígena. In ihrem Bericht dokumentiert Cisneros den langen und komplizierten Kampf ihrer Gemeinde gegen den Zentralstaat und die argentinische Erdölfirma Compañía General de Combustibles (CGC), die zu Zeiten neoliberaler Regierungen auf der Suche nach Erdöl ohne Genehmigung in ihre Gebiete vordrangen. Mit Unterstützung der ecuadorianischen Regierung brachte das Unternehmen damals Pentolin zum Einsatz, ein starker Sprengstoff für seismische Untersuchungen.

Dank des Widerstandes der Gemeinde konnte die Erdölförderung gestoppt werden. 2003 zogen die Bewohner vor die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, die den Fall 2010 vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte brachte. Zwei Jahre später entschied das Gericht zu Gunsten der Sarayaku. Trotz der Urteile und Resolutionen beider internationaler Organismen haben die progressiven Regierungen Ecuadors das Problem bis heute nicht gelöst. Während der Regierung von Präsident Rafael Correa (2007-2017) wurden stattdessen Teile der Quechua-Territorien an die chinesische Erdölfirma Petroandes vergeben.

Die Zeugenaussagen von Miriam Cisneros und andere Fälle von Umweltzerstörung in der Welt dienten dem Internationalen Tribunal für die Rechte der Natur nun zur Verfassung einer Klageschrift gegen zahlreiche Staaten dieser Erde.

In der ersten Woche der UN-Weltklimakonferenz in Bonn wurden Verbrechen gegen die Rechte der Natur in Deutschland, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Spanien, USA, Französisch Guyana, Nigeria, Russland, Südafrika und Schweden verhandelt. Das Gericht tagte erstmals 2014 in Ecuadors Hauptstadt Quito. Es folgten ähnliche Treffen auf den Klimagipfeln in Lima und Paris und zu speziellen Themen in Australien, Ecuador und den Vereinigten Staaten.

Fracking in den USA, Atomkraft in Südafrika, Braunkohle in Deutschland

Die Natur wird weltweit mit Füßen getreten. Angehört wurden Zeugen über die Folgen von Fracking in den USA und Argentinien. Über Atomkraft mit russischer Hilfe in Südafrika. Braunkohle-Tagebaue in Deutschland, viele Fälle von Extraktivismus und seine Infrastruktur (Straßen wie durch das TIPNIS-Schutzgebiet in Bolivien) im Amazonas. Das UN-Waldschutzprogrammm REDD oder ähnliche wie Socio Bosque in Ecuador. Die Übernutzung von Wasser durch Monokulturen in Almería in Spanien. Die Auswirkungen von Freihandelsverträgen auf die Natur. Besondere Aufmerksamkeit erhielten Umweltschützer aus den USA, Russland und Schweden.

Inspiriert wurde das Gericht für die Rechte der Natur vom Russel-Tribunal, auch bekannt als Internationaler Gerichtshof über Kriegsverbrechen oder Russel-Sartre-Tribunal, das 1966 gegründet wurde, um die Verbrechen des Yankee-Imperialismus in Indochina zu verurteilen. Die gesamte kapitalistische Zivilisation steht vor Gericht. Ein politisches und wirtschaftliches System, das die Natur zerstört und seine Verteidiger verfolgt. Darum fordert das Gericht strukturelle und systemische Veränderungen, damit die Menschenrechte und die Rechte der Natur respektiert werden, es Gleichberechtigung und Gleichheit gibt, keine Kriminalisierung der Verteidigung dieser Rechte und die Ent-Merkantilisierung der Natur.

Der Rechtsrahmen, auf den sich das Gericht stützt, ist die Erklärung der Rechte der Mutter Erde, die 2010 auf dem Gipfel der Völker in Tiquipaya in Bolivien verabschiedet wurde – sowie die Verfassung von Ecuador 2008, bis heute die einzige Magna Charta der Welt, welche die Natur als eigenständiges Rechtssubjekt anerkennt. Wenn die Regierungen ihrer Verantwortung nicht nachkommen, dann wird die Zivilgesellschaft ihre ganz eigenen Antworten geben.

Und während die 23. Weltklimakonferenz als ein Festival falscher Lösungen und der ungehaltenen Versprechen weitergeht, zeigt die Zivilgesellschaft mit dem Finger auf die Verantwortlichen, nennt sie beim Namen, macht für die Widerstandskämpfe konkrete Vorschläge, unter dem Dach einer so mächtigen Befreiungspädagogik, wie es diese ethische Tribunal für die Rechte der Natur ist.

Übersetzung: Benjamin Beutlers

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