Auf den Trümmern der Sozialdemokratie

Für eine Bewegung nach den Vorstellungen Oskar Lafontaines fehlen hierzulande derzeit die Voraussetzungen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der frühere Linksparteivorsitzende Oskar Lafontaine fordert die Gründung einer Sammlungsbewegung oder Volkspartei mit Politikern der LINKEN sowie Teilen von SPD und Grünen. Doch die Chancen dafür scheinen derzeit nicht gut zu stehen. Denn erfolgreiche Neugründungen in anderen europäischen Ländern wie SYRIZA in Griechenland und La France insoumise (»Unbeugsames Frankreich«) des Politikers Jean-Luc Mélenchon waren nur deswegen möglich, weil dort die sozialdemokratischen Parteien erodierten.

Die SPD steckt hierzulande in einer schweren Krise. Ob sie ein ähnliches Schicksal ereilen wird wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa, wird man aber erst in ein paar Jahren wissen. Zudem können sich die Grünen seit etwa 15 Jahren darauf verlassen, bei Bundestagswahlen zwischen acht und zehn Prozent der Stimmen zu erhalten.

So ist es nicht verwunderlich, dass SPD-Vize Ralf Stegner und die Grünen-Vorsitzende Simone Peter, die beide den linken Flügeln ihrer Parteien zugerechnet werden, dem noch nicht existierenden Projekt Lafontaines nun eine Absage erteilt haben. In der »taz« warben sie vielmehr für ihre eigenen Parteien. Stegner sagte, dass es »eine starke SPD als die linke Volkspartei« brauche.

Peter meinte, dass für eine linke Sammlungsbewegung keine Parteineugründung notwendig sei, »sondern Mut und das Vertrauen der linken Parteien in die eigenen Ideen und Visionen von Politik und Gesellschaft«. Gerechtigkeit, Ökologie und Weltoffenheit gehörten zusammen. Dieses Prinzip habe Bernie Sanders in den USA verstanden, bei Sozialdemokraten und Linkspartei mangele es bisher an Verständnis für diesen Dreiklang, behauptete Peter.

Es drängt sich die Frage auf, warum Lafontaine trotz der erwartbaren negativen Reaktionen so beharrlich seit Monaten seine Idee verbreitet, ohne allzu konkret zu werden. Bekannt ist bisher nur, dass die Bewegung aus seiner Sicht »nicht nur die klassischen Parteien, sondern auch Gewerkschafter, Sozialverbände, Wissenschaftler, Kulturschaffende und andere umfassen« solle. Das sagte Lafontaine kürzlich der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Er selber will in dieser neuen möglichen Bewegung oder Volkspartei keine größere Rolle spielen.

Es liegt nahe, dass der saarländische Linksfraktionschef eine Debatte darüber anstoßen will, wie die Schwäche der politischen und gesellschaftlichen Linken in Deutschland langfristig überwunden werden kann. Allein der Reiz des Neuen kann bei den Wählern viel ausmachen. Das hatten die Wahlerfolge der LINKEN in ihrer Anfangszeit gezeigt. Lafontaine hatte als früherer Vorsitzender der SPD bei der Fusion von WASG und der Linkspartei.PDS vor mehr als zehn Jahren eine zentrale Rolle gespielt.

Nun verwies er im »Spiegel« auf den kurzen Hype nach der Übernahme des Vorsitzes und der Kanzlerkandidatur der SPD durch Martin Schulz. Es gebe das Potenzial für eine linke Mehrheit bei den Wählern, meinte Lafontaine. »Die Leute warten geradezu auf so eine Option.« Dann habe sich Schulz »angepasst« und das Potenzial sei »verpufft«. Lafontaine kritisierte, dass führende Politiker der SPD im neoliberalen Denken gefangen seien und beispielsweise durch das sogenannte Betriebsrentenstärkungsgesetz weiter den Irrweg der Privatisierung der Rentenversicherung gingen.

Die Überlegungen des Saarländers zu einer Neugründung sind auch in der LINKEN umstritten. Der frühere Europaabgeordnete Jürgen Klute und Linksparteivize Axel Troost haben in einem auf der Seite europa.blog veröffentlichten Beitrag geschrieben, dass Lafontaines Forderung in der gegenwärtigen politischen Situation wohl keine Aussicht auf Erfolg haben werde. »Schlimmstenfalls könnte sie aber die gesellschaftliche Linke ein weiteres Mal spalten und schwächen«, so die LINKE-Politiker.

Sie warfen Lafontaine vor, »eine nationalistische auf rechts gewendete Linke« zu wollen. Lafontaine hatte gegenüber der »Neuen Osnabrücker Zeitung« erneut die Flüchtlingspolitik der LINKEN und die aller anderen Parteien kritisiert. »Ich verstehe nicht, warum man in einer Art National-Humanismus den allergrößten Teil der Hilfe auf die Menschen konzentriert, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen, während man den Millionen in den Lagern und Hungergebieten nur wenig hilft«, so Lafontaine.

Klute und Troost warfen ihm vor, somit die in Deutschland geleistete Hilfe für Flüchtlinge als nationalistisch und als Unrecht gegenüber den Flüchtlingen zu diskreditieren, die es nicht nach Europa beziehungsweise Deutschland geschafft hätten.

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