Gutbürger

»Mein Kampf«

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit einigen Jahren agiert der linksliberale Kulturbetriebsmainstream so durchschaubar wie ein Kind im Süßwarenladen. Kaum kündigt Falk Richter eine neue Inszenierung gegen AfD, Faschismus und allgemeines Bösesein an, da leuchten die Augen der Wohlmeinenden ob dieser dem Bitteren entgegengestellten Süße des Lebens. Kaum bekämpft das »Zentrum für politische Schönheit« die Neurechten mit deren eigenen Mitteln (zuletzt bei einer gefakten Überwachungsaktion des AfD-Politikers Björn Höcke), schon jubelt die gefühlslinke Gemeinde ob dieses als Provokation überbewerteten Tingeltangels. Äußern wiederum Leute wie die AfD-Beamtenseelen Beatrix von Storch oder Alexander Gauland das, was Rassisten und Sozialdarwinisten nun einmal so sagen, dann schreit die Achse der Gutbürger auf, als habe man einen Sechsjährigen im Candy Shop gezwungen, in eine Zwiebel zu beißen. Wem solches Empörungsschnauben nutzt, das zeigt der steigende Zuspruch für die AfD.

Wegen dieser aufgeheizten Atmosphäre im Kulturbetrieb ließ sich die neue Theaterinszenierung des Kabarettisten Serdar Somuncu schon als Erfolg verbuchen, als die Premiere noch gar nicht stattgefunden hatte. Das Theater Konstanz erhielt binnen einer Woche so viel bundesweite mediale Aufmerksamkeit wie zuvor über Jahre hinweg nicht.

Was war geschehen? Somuncu, der seine Kabarettfigur »Hassias« nennt und 1996 mit einer szenischen Lesung ausgewählter Textstellen aus Hitlers Buch »Mein Kampf« auf Tour ging, sollte seine Neubearbeitung von George Taboris »Mein Kampf« als Regisseur in Süddeutschland entwickeln. In dem mehr als 30 Jahre alten Stück geht es um Adolf Hitlers Jahre als Insasse eines Männerwohnheims in Wien. Das Theater wollte Besuchern, die während der Vorstellung im Saal ein Hakenkreuz-Symbol tragen, freien Eintritt gewähren. Wer eine Karte kaufe, könne dagegen einen Davidstern als Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Nazi-Herrschaft tragen. Bis kurz vor der Premiere hätten sich etwa 50 Interessierte gemeldet, sagte eine Sprecherin des Schauspielhauses.

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft in der Bodensee-Region und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Konstanz hatten in einem offenen Brief kritisiert, dass die Premiere am 20. April stattfinde und damit auf Hitlers Geburtstag falle. Die Lokalpresse lief tagelang Sturm gegen die Aufführung, und der in solchen Fällen übliche Shitstorm im Internet läuft noch immer.

Mittlerweile ist die Premiere über die Bühne gegangen. Glaubt man den Kritiken, dann verantwortet Somuncu eine eigenwillige, aber keine skandalöse Darbietung. Hakenkreuzbinden oder Davidsterne wurden kaum gesichtet. Worum es Somuncu geht, das wird aber im Idealfall seine Spuren hinterlassen. Er wollte, wie schon in den 90er Jahren mit seinen Hitler-Lesungen, die Korrumpierbarkeit des Publikums und die unzureichende Aufarbeitung der Nazi-Dikatatur offenlegen. Ohne viel Aufwand hat er nun eine Öffentlichkeit entlarvt, die lieber den Wert der Kunstfreiheit in Empörungsreflexen schwächt, als sich auf die Substanz einer künstlerischen Haltung einzulassen.

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