Die LINKE sollte organisieren statt spalten

Daphne Weber und Jakob Migenda über eine verbindende Klassenpolitik als Zukunftstrategie für die Linkspartei

  • Daphne Weber und Jakob Migenda
  • Lesedauer: 7 Min.

Ob Ende Gelände, der Frauen*kampftag, die Streiks der IG-Metall für 28 Stunden, die Kämpfe der Pfleger*innen, oder die Anti-G20-Proteste – wir könnten unzählige Bewegungen nennen, in denen die LINKE eine wichtige Rolle übernimmt. Sie hat organisierende Funktionen, ist in nicht wenigen Bereichen fest verankerte Bündnispartnerin zivilgesellschaftlicher Akteure. Zugleich sind wir als Jugend- und Studierendenverbände immer wieder ein wichtiges Scharnier zwischen radikaler und parteipolitischer Linken. Das ist ein enormes Potential, das in der Bundesrepublik nie zuvor da war und das wir auf keinen Fall aufs Spiel setzen dürfen.

Nicht zuletzt hat die menschenfeindliche und unsoziale Rechtsentwicklung, die alle Parteien getrieben von der AfD erfasst hat, viele Menschen dazu bewogen, jetzt in die Linkspartei, Solid und den SDS einzutreten und aktiv zu werden. In den letzten 20 Jahren ist auch die Lücke zwischen SPD und sozialer Politik immer größer geworden und hat der LINKEN viel Spielraum gegeben. Diesen Spielraum müssen wir selbstbewusst besetzen. Als letzte verbliebene linke Partei in der BRD sollten wir offensiv unsere Positionen vertreten und nicht die Logiken herrschender oder rechter Diskurse adaptieren.

Konsequenter Antirassismus statt staatlicher Verwaltungslogik

Um einen weiteren Rechtsruck zu verhindern und ihm aktiv entgegenzuwirken, sind breite Bündnisse nötig. In diesen Bündnissen nehmen wir eine linksradikale Position ein. »Radikal« verstehen wir hierbei ganz nach der ursprünglichen lateinischen Bedeutung »Wurzel« oder um es mit Karl Marx zu sagen: »Radikal sein heißt, die Sache an der Wurzel fassen.« Nicht »hilfloser Antifaschismus« (WF Haug) ist unsere Position, sondern ein grundsätzlicher, an die Wurzel des Faschismus gehender. Wir erkennen die Wurzel des Faschismus im autoritärer werdenden Kapitalismus, der seine Legitimation in der Bevölkerung verliert, da er den Klassenkompromiss aufgegeben hat. Der Kapitalismus reagiert auf diesen Legitimationsverlust mit Gewalt: man kann dies beispielsweise in der Hochrüstung der Polizei und der Aufrüstung beobachten. Der Rechtsruck im Diskurs besteht darin, dass auf den Ausbau des Niedriglohnsektors, Kaputtsparen der Infrastrukturen, Zerstörung von Absicherungen, wie zum Beispiel der Rente, mit rassistischen und ausgrenzenden Scheinlösungen geantwortet wird und sie Massenanhang bekommen. Schon früher vorhandenes rechtes Denken findet einen Kristallisationspunkt.

Trump, Brexit und AfD lassen sich also nicht einseitig oder phänomenologisch erklären. Unsere Politik muss radikal die Ursachen für diese Phänomene analysieren und anprangern und die Symptome, wie Trump, Brexit und die Rechten, skandalisieren. Unsere Politik ist antikapitalistisch und antirassistisch. Sie erkennt, dass in der Logik des Kapitalismus Faschismus, Umweltzerstörung, Rassismus und Frauenunterwerfung prächtig gedeihen, da diese Spaltungen und der Raubbau für die Produktionsweise des Kapitalismus profitabel sind. Wir stellen uns gegen diese Logik des Profits für wenige. Unsere Antwort heißt: Verbindende Klassenpolitik. Dieser Ansatz versucht, die kapitalistisch produzierten Spaltungen in der Arbeiter*innenklasse zu überwinden.

Viele Phänomene, eine Antwort: Verbindende Klassenpolitik

Wie kann das funktionieren? Erstens muss die LINKE konsequent für eine menschenwürdige Politik einstehen. Wenn die Grenzen der Welt für das transnationale Kapital geöffnet sind und nicht für Menschen, so ist es unsere Pflicht, die Perspektive der Menschen einzunehmen und uns für sie stark zu machen. Das heißt konkret: Kämpfe und Kampagnen führen für die Wiederherstellung des Rechts auf Asyl und gegen Abschiebungen; für die Legalisierung von Migrant*innen; gegen Sexismus, Homo-, Transphobie und sexualisierte Gewalt.

Es ist nicht unsere Aufgabe, uns den Kopf über die Probleme der Herrschenden zu zerbrechen und eine bessere Regelung der Migration im Kapitalismus zu planen. Deshalb gehen die Papiere für ein linkes Einwanderungsgesetz oder eine »soziale und regulierende« Einwanderungspolitik in eine falsche Richtung. Wir erkennen zwar an, dass sie versuchen, gegenüber der aktuellen Situation eine Verbesserung zu erwirken, aber sie schwören uns doch auf eine Haltung ein, den mörderischen Kapitalismus humaner zu verwalten, anstatt gegen ihn zu kämpfen. Vor allem dürfen wir in Zeiten der Abschottung nicht aus Opportunismus in den Chor der Unmenschlichkeit und des Kapitals einstimmen und für dichte Grenzen plädieren.

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Gespaltene Arbeiter*innenklasse

Zweitens beinhaltet unser Konzept der Verbindenden Klassenpolitik eine Antwort auf die ökonomische Ausbeutung. Dafür müssen wir den gegenwärtigen Kapitalismus historisch-konkret verstehen. Leiharbeit und Niedriglohnsektor in der BRD sind Bestandteil einer globalen Produktionskette, die die Arbeiter*innenklasse aller Länder in unterschiedlicher Form ausbeutet. Allein schon weil die Märkte und Produktion global sind, können die Grenzen nicht zwischen Ländern, also zwischen Ausgebeuteten eines Landes und Geknechteten eines anderen Landes verlaufen. Die Grenzen laufen zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern, zwischen Arbeiter*innen und Kapitalisten.

Das ist eine unumstößliche Tatsache, auch wenn sich die Zusammensetzung der Arbeiter*innenschaft im Hightech-Kapitalismus (WF Haug) gewandelt hat. Nur noch um die 18 Prozent arbeiten im klassischen Industriesektor, der Dienstleistungssektor ist wichtiger geworden. Dieser umfasst sowohl Krankenschwestern und Reinigungskräfte als auch Programmierer*innen in der IT-Branche. Beide tragen die Bürde zu langer Arbeitszeiten, erstere sind zudem noch niedrig entlohnt.

Besonders im stetig wachsenden Sektor der Kreativwirtschaft wird ständige Verfügbarkeit und permanente Selbstausbeutung zur Regel. Beim Stichwort Selbstausbeutung sollte die LINKE kritisch reflektieren, dass Bereiche unbezahlter Arbeit in ihrer Politik kaum eine Rolle spielen. Dabei wird 80 Prozent der Arbeit auf dem Planeten von Frauen verrichtet, ihnen gehört aber nur 1 Prozent des weltweiten Eigentums; Kindererziehung passiert auch hierzulande weitestgehend in der Familie, Alte werden meist von weiblichen Angehörigen unbezahlt gepflegt und betreut. Über diese Re-Produktionsverhältnisse aufzuklären, ist elementarer Bestandteil Verbindender Klassenpolitik.

Philosophie der Praxis, nicht der Theorie

Auf den Wandel der Arbeiter*innenklasse müssen wir reagieren. Sie ist – besonders im prekären Niedriglohnsektor – weiblicher und migrantischer geworden. Gleichzeitig ist die Arbeiter*innenklasse heute in weiten Teilen akademisch gebildet. Das ist kein elementarer Widerspruch, sondern ein Ergebnis veränderter Produktionsverhältnisse. Mit der Akademisierung der Gesamtgesellschaft steigt auch der Akademiker*innenanteil in der LINKEN – das »junge urbane Milieu«. Wir halten es für ein grundlegendes Missverständnis realer Klassenverhältnisse, diese Gruppe gegen die Gruppe der Arbeitslosen auszuspielen. Beide sind objektiv abhängig davon, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sind also Teil der selben Klasse.

Einerseits wissen wir spätestens seit Frank Deppes Werk »Einheit und Spaltung der Arbeiterklasse«, dass der Normalzustand der Arbeiter*innenklasse gespalten ist. Die Herstellung der Einheit ist eine politische Aufgabe für uns, die wir nicht erreichen, wenn wir die verschiedenen Gruppen gegeneinander ausspielen. Eine Polemisierung in »falsche« und »richtige« Wähler*innen der Partei Die LINKE, so wie nach der Bundestagswahl geschehen, halten wir daher für eine Fehlleitung der Debatte. Andererseits, ist es empirische Realität, dass sich in der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung fast immer die am besten gebildeten Teile der Klasse organisiert haben. Das waren im 19. Jahrhundert Handwerksgesell*innen und Facharbeiter*innen und im 21. Jahrhundert sind es akademisch Gebildete. Das heißt nicht, dass wir uns nicht um Arbeitslose bemühen sollen. Die zentrale Frage ist jedoch eine andere, als die nach »richtiger« oder »falscher« Klientel:

Wie kann man diese sich beständig wandelnde und vom Neoliberalismus fragmentiert gehaltene Arbeiter*innenklasse als Einheit organisieren?

Bewegungsorientierung ist unabdingbar

Hier gilt es die Verbindende Klassenpolitik weiter zu diskutieren und in Kampagnen wie aktuell zum Pflegenotstand und Mangel an Wohnraum umzusetzen. Diese Bewegungsorientierung kann nur funktionieren, wenn die Partei in der Lage ist, gesellschaftliche Bewegungen und Stimmungen aufzunehmen, zu artikulieren und zu unterstützen – innerhalb und außerhalb des Parlaments. Bewegungen werden nicht von oben gegründet, sondern von unten gemacht.

Als LINKE müssen wir in der Lage sein, auf reale Bewegungen zu reagieren. Das geht nicht mit zentralistischer Stellvertreter*innenpolitik, sondern nur mit einer starken und zur selbständigen Aktion fähigen Basis. Die sprichwörtlichen »Tausend Augen der Partei« kommen nur dadurch zusammen, dass jedes einzelne Parteimitglied zwei Augen hat und sie zu nutzen weiß. Deshalb begrüßen wir – bei aller Diskussion über Details – die Initiativen der Parteivorsitzenden für Basis- und Kampagnenorientierung.

Wir machen unsere Geschichte zwar unter vorgefundenen Bedingungen, aber wir machen sie selbst. Das müssen wir uns bewusst machen und sie selbstbewusst machen.

Daphne Weber ist im Bundesvorstand von Die Linke.SDS, Jakob Migenda ist im Bundessprecher*innenrat der linksjugend [’solid]

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