Salzburg wird EU-Hauptstadt

Zum dritten Mal übernimmt Österreich den Ratsvorsitz. Das Motto ist Sicherung der Außengrenzen

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Die halbjährliche Rotation der EU-Ratspräsidentschaft trifft zum 1. Juli 2018 Österreich, das zuletzt im ersten Halbjahr 2006 seine Aufgabe zur allgemeinen Brüsseler Zufriedenheit erfüllt hatte. Alles spricht dafür, dass sie auch diesmal friktionsfrei über die Bühne geht. Mit den bulgarischen Vorgängern gab es freundschaftliche Gespräche und zum Zeichen ihres guten Willens hatte die gesamte österreichische Bundesregierung Anfang Juni ihren Ministerrat im Beisein der EU-Kommissare in Brüssel abgehalten. Ein Novum in der EU-Geschichte.

Zu den tatsächlich großen Aufgaben, vor denen die Europäische Union steht, kann das kleine Österreich nicht viel mehr als eine Gastgeberrolle beitragen. Die Verhandlungen für den kommenden Finanzrahmen der Jahre 2021 bis 2027 gehen hinter den Kulissen weiter, zu einem Abschluss werden sie in diesem Jahr nicht kommen, wie Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bereits im Vorfeld vermeldete. Das hängt auch mit der nach wie vor ungeklärten Art des Ausstiegs von Großbritannien zusammen. Wer für das daraus entstehende Finanzloch zahlen soll, darüber wird weiter gestritten.

Die rechte Koalitionsregierung in Wien einigte sich darauf, den Halbjahresvorsitz unter das Motto »Sicherheit und Migration« zu stellen. Diese Überschrift verpasste man auch dem großen Gipfel der EU-Regierungschefs am 20. September, der bemerkenswerterweise nicht in Wien, sondern in Salzburg abgehalten werden wird. Die Auswahl des Ortes mag auch eine kleine politische Botschaft sein: Dem »roten« Wien wollen Kurz und Co. anscheinend keine EU-weite Öffentlichkeit gönnen. Im Kirchen-affinen Salzburg fühlen sich die türkis gewendeten ÖVPler sicherlich wohler.

Was die Koalitionäre von ÖVP und FPÖ unter »Sicherheit« verstehen, das führten Innen- und Verteidigungsminister am 26. Juni der Öffentlichkeit vor. Am österreichisch-slowenischen Grenzübergang Spielfeld präsentierten sie den erstaunten Journalisten eine neue schnelle Eingreiftruppe. Diese 500 Mann starke Einheit mit Namen »Puma« kann binnen 24 Stunden an jede Außengrenze verlegt werden, um dort Flüchtlinge zu »kanalisieren«, wie es dazu in einer Aussendung heißt. Zusammen mit 400 Soldaten machte man im Rahmen der Übung »Pro Border« den Grenzstreifen »sicher«. Die Soldaten übernahmen dabei die Rolle von Flüchtlingen, rüttelten an Zäunen und ließen sich von den behelmten Pumas überwältigen.

Ob ausgerechnet der EU-Ratsvorsitz der richtige Moment ist, eigene außenpolitische Akzente zu setzen, darüber dürften sich die rechten Koalitionsspitzen noch nicht einig sein. Zur Sprache werden sie auf jeden Fall kommen. So arbeitet das österreichische Außenministerium schon eine Weile daran, die von Brüssel und der liberalen Presse mit negativen Attributen versehenen Visegrád-Staaten zu entdämonisieren. Im Vorfeld des österreichischen EU-Vorsitzes war Kanzler Kurz zum Treffen der Vierergruppe, bestehend aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien, nach Budapest gereist.

Auch dort stand das Migrationsthema im Mittelpunkt. Mit der Annäherung an die vier mitteleuropäischen Staaten setzt Sebastian Kurz eine Traditionslinie fort, die die ÖVP im November 1989 mit der Gründung der sogenannten Pentagonale, zu der neben Ungarn und Österreich auch die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Italien gehörten, begonnen hatte. Weder Pentagonale noch Visegrád waren beziehungsweise sind als Gegenpole zur EG/EU gedacht, streb(t)en aber doch eine machtpolitische Akzentverschiebung weg vom westeuropäischen Zentrum hin nach Osten an. Dem zunehmenden Brüsseler Zentralismus täte dies im Übrigen - unabhängig von der jeweiligen innenpolitischen Stoßrichtung - nicht schlecht.

In dieselbe Kerbe schlägt Österreichs Europaminister Gernot Blümel, ein 36-jähriger Weggefährte des 31-jährigen Kanzlers, wenn er davon spricht, die EU nach dem Subsidiaritätsprinzip umgestalten zu wollen. Damit meint er eine Verlagerung der Verantwortung von oben auf untere administrative Ebenen, konkret von Brüssel auf den Nationalstaat. Er wünscht sich weniger Verordnungen und mehr Richtlinien, deren Umsetzung in nationales Recht flexibler gehandhabt werden kann. Die Migrationsfrage soll freilich nicht nach diesem Prinzip, sondern möglichst totalitär an den Außengrenzen der EU gelöst werden.

Mit Hilfe der neuen italienischen Regierung aus rechtsextremer Lega und den Fünf Sternen könnte sich unter der Ratspräsidentschaft Österreichs eine Verschiebung in der Politik gegenüber Russland ergeben. Wie Wien, Budapest, Bratislava, Athen und Nikosia zweifelt nun auch Rom an der Sinnhaftigkeit der seit über vier Jahren bestehenden Sanktionen gegen Russland, die allerdings von Washington jüngst verschärft wurden. Die Beantwortung dieser Frage hängt letztlich an der transatlantischen Treue und - das darf von Wien aus bemerkt werden - der Souveränität Berlins.

So sehr die österreichische Bundesregierung sich um bessere Beziehungen mit Russland bemüht, so heftig betreibt sie Türkei-Bashing und fordert den Abbruch der EU-Aufnahmegespräche mit Ankara. Als Argument dafür wird der autokratische Führungsstil des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ins Treffen geführt; dahinter steckt allerdings eine tiefe Abneigung gegen türkischstämmige Muslime. Mit einem diskriminierenden Islamgesetz und angeordneten Moscheenschließungen versteht sich Wien als Vorreiter für Europa in Sachen antimuslimischem Rassismus.

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