• Kultur
  • Christine Nöstlinger

Seufzende Ehrlichkeit

Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger ist gestorben

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie war eine Erfolgreiche: Über 100 Bücher hat sie veröffentlicht. Eine freundliche, warmherzige Frau, auf den Fotos sieht man sie altern. Am späten Freitagnachmittag kam vom Residenzverlag Wien die Mitteilung, dass die Schriftstellerin Christine Nöstlinger am 28. Juni nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Am 13. Juli ist sie im engsten Familienkreis begraben worden; die Todesnachricht sollte erst danach an die Öffentlichkeit.

Viele werden um sie trauern, hat sie mit ihren Büchern doch schon mehrere Generationen von Kindern begeistert. Und deren Eltern auch, denn viele Texte waren ja zum Vorlesen gedacht. »Glück ist was für Augenblicke«, so nannte sie vor fünf Jahren ihre Autobiografie. Wie sie, 1936 als Tochter eines Uhrmachers geboren, als Kind den Krieg im Bombenkeller überlebte, erzählt sie. Wie sie die Nachkriegszeit mit ihrem konservativen Rollenverständnis erlebte und dagegen revoltierte, wie sie in der Tanzstunde mit geliehenem BH Oberweite vortäuschte und sich als Kunststudentin in Herrenrunden behauptete, das hatte durchaus mit ihrem späteren Schreiben zu tun. Denn da ist immer von Gewitztheit die Rede, von Träumen, die man leben soll.

Was ist zum Beispiel von einem kleinen Jungen zu halten, der nicht mit seiner Mutter ans Meer fahren will, weil er zwei kranke Drachen hüten muss? Nachts geht er heimlich in den Park, wo die Drachen hinter dem Denkmal wohnen. Die Mutter merkt von all dem nichts, so müde, so erschöpft ist sie. Aber als sie dann von den Drachen erfährt, von denen der eine gut und der andere böse ist, sagt sie nicht etwa: »Du spinnst.« Nein, sie hat eine gute Idee …

Etwas zur Harmonie bringen - das geht in Büchern für Kinder leichter als in der Literatur für Erwachsene, wobei Nöstlinger vor Konflikten in der Realität nicht die Augen verschloss. Sie gehörte zu einer Schriftstellergeneration, die Kindern die Welt zeigen wollte, wie sie ist. Nicht auf Anpassung, Folgsamkeit kam es ihr an, sondern auf Ermutigung, sich zu wehren gegen Ungerechtigkeit und Gewalt.

Das Kind als Persönlichkeit - der Einfluss der 68er mag mitgespielt haben, dass sie zu schreiben begann. »Die feuerrote Friederike« (1970) wurde ein so großer Erfolg, dass sich Verlage um sie rissen. »Die drei Posträuber«, »Die Kinder aus dem Kinderkeller«, »Maikäfer flieg«, »Simsalabim«, »Das Austauschkind« … Quatschgeschichten, Detektivgeschichten, Fußballgeschichten, Hundegeschichten, Freundschaftsgeschichten - manchmal waren es mehrere Bücher im Jahr.

So wurde sie zur großen Dame der Kinderliteratur, die einen ewigen Platz in den Editionsprogrammen zu haben schien. Umso größer das Erschrecken, als sie im Juni verkündete, sie wolle keine Kinderbücher mehr schreiben. »Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwas mit zwei Daumen tun?« Seufzende Ehrlichkeit, der schon Müdigkeit innewohnte.

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