Sprung auf, marsch, marsch im Cyberbereich

Bundesregierung beschloss die Gründung einer neuen Agentur - Verteidigungs- und Innenministerium wollen »kreative Geister« fördern

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

In Sachen Visionen, die zu technischen Entwicklungen reifen, gibt es wohl keine andere Organisation, die der »Defense Advanced Research Projects Ageny« (DARPA) das Wasser reichen kann. Die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums wurde 1958 im Zuge des sogenannten Sputnik-Schocks gegründet, um die technische Überlegenheit des US-Militärs aufrechtzuerhalten. Kaum ein Nutzer denkt daran, dass das von der DARPA initiierte »Arpanet« die Grundlage für das heutige Internet ist. Die Pentagon-Forschungsabteilung war maßgebend beteiligt an der Entwicklung der GPS-Navigation, die Institution bestimmt den Kurs beim autonomen Fahren sowie bei der Entwicklung von Spracherkennungssoftware. Aktuell ist die Suche nach neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen oder sogenannten Mind-Control-Methoden, bei denen Menschen einfach Kraft ihrer Gedanken Dinge bewegen. Man untersucht Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz, entwickelt Quanten- und Blockchain- und Biotechnologien. Und bewegt sich dabei zumeist in einem dualen Bereich zwischen Militär und Alltagsleben.

Dass die DARPA so erfolgreich ist, liegt vor allem an der Risikobereitschaft dieses überaus schlanken Managements. Die nur 220 Mitarbeiter organisieren mit einem aktuellen Jahresbudget von drei Milliarden US-Dollar rund 250 Forschungs- und Entwicklungsprogramme. Statt evolutionär an etablierten Technologien, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen anzudocken und sie nahezu gradlinig fortzuentwickeln, will die DARPA sogenannte Sprunginnovationen fördern. Als Sprunginnovationen werden Erneuerungen bezeichnet, die im Gegensatz zum schrittweisen Betreten von Neuland einen revolutionären oder auch disruptiven Charakter haben - und damit das Potenzial, eine bestehende Technik zu ersetzen.

Der Erfolg - siehe Internet oder GPS - spricht für die Methode. Neben den USA haben inzwischen auch Länder wie China, Großbritannien, die Schweiz oder Schweden Institutionen geschaffen, die Rahmenbedingungen für Sprunginnovationen schaffen. Und wo schläft deutscher Innovationsgeist?

Hierzulande und in anderen EU-Regionen besteht beim Prinzip »High Risk - High Gain« (hohes Risiko - hoher Gewinn) eine Förderlücke, beklagt vor allem die Industrie. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist daher eine »Agentur für disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien« erwähnt. Deren Ausrichtung ist vergleichsweise bescheiden und von Anfang an nicht zivil. Schon weil sie von den beiden deutschen Sicherheitsministerien, also dem für Inneres und dem für Verteidigung, getragen wird. Im Januar 2019 soll die »Cyberagentur« arbeitsfähig sein. Mit einhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Jahresbudget: Vorerst 15 Millionen Euro. 200 Millionen Euro will man in den nächsten fünf Jahren bereitstellen. 80 Prozent davon sollen direkt für ambitionierte und vielversprechende Forschungs- und Innovationsvorhaben ausgegeben werden.

Es reiche nicht, Dinge durch stufenweise Entwicklungen immer nur zu verbessern. Und es sei auch nicht förderlich, immer nur zu warten, bis Forschung oder Wirtschaft auf den Staat zukommen, argumentiert beispielsweise das Verteidigungsministerium. Man will »raus«, ran an die vielen Kreativen und ihnen Angebote unterbreiten. Dabei hat man keine Sorge, dass sich allzu viele Universitäten auf die sogenannte Friedensklausel berufen, die militärische Forschungen an zivilen Hochschulen obsolet macht. Zudem gebe es Forschungseinrichtungen wie beispielsweise die Frauenhofer-Institute, die sich bisher sehr aufgeschlossen zeigen.

Argwohn wegen möglicher Intransparenz soll mit dem Hinweis zerstreut werden, dass es sich um die Förderung von Grundlagenforschung handelt. Fragen der Anwendung sei auf anderen Ebenen zu entscheiden. Doch natürlich besteht der Ehrgeiz beider Ministerien darin, neue überlegene Cybertechnologien in die Hand zu bekommen. Die Bundeswehr will ihre 13 500 »Mann« starke Cybertruppe hochrüsten. Es geht um digitalisierte Lagebilder, neue Methoden der Vernetzung und eine automatisierte Krisenfrüherkennung. Die Truppe sucht etwa Methoden, um die eigenen Daten zu schützen. So will man - obwohl man die Vorgaben der Physik nicht gänzlich ausschalten kann - dafür sorgen, dass der internetbasierte Austausch nicht über globale Autobahnen erfolgt, sondern quasi im Bündnisstadtverkehr geschützt bleibt. Was zeigt, dass Snowdens Indiskretionen und das, was über NSA & Co. zu erfahren ist, auch bei deutschen Militärs einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Hackerattacken abzuwehren, ist die eine Seite, sie in gleicher Art zu beantworten, eine zweite Seite. Über die ungern gesprochen wird. Man verweist lediglich auf das Recht zur Selbstverteidigung und darauf, dass die Regeln der Kriegsführung in der realen wie der Cyberwelt identisch seien.

Auch wenn sich die neue deutsche Cyberagentur im Vergleich zum Vorbild in den USA höchst bescheiden darstellt, so sollten sich zuständige parlamentarische Gremien beizeiten Gedanken um ihre Kontrollpflicht machen, denn: US-Kritiker der DARPA monieren immer wieder deren »Black Budgets« zur Forderung von Projekten, von denen der Kongress nie etwas erfahren wird.

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