Großfahndung nach Mindestlohn-Betrügern

Bundesweit 6000 Fahnder seit Dienstagmorgen im Einsatz / 2017 wurden nur 2,4 Prozent aller Betriebe kontrolliert

  • Georg Ismar
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Er hat seine neun Beschäftigten ausgebeutet und nicht das bezahlt, was ihnen für die Plackerei auf dem Bau zustand. Dem Bauunternehmer aus Osteuropa war der gesetzliche Mindestlohn egal - dann kam ihm der Zoll auf die Schliche. Nach einer Razzia wurde er zu 200.000 Euro Geldbuße verdonnert. Kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr wurden nach Aufdeckung von Mindestlohnverstößen und Schwarzarbeit 96 Millionen Euro Geldbußen in Deutschland verhängt.

Erstmals gibt es diese Woche nun bundesweite Kontrollen. Denn beim Mindestlohn wird kräftig geschummelt. Dass das Ausschwärmen von 6000 Zollfahndern bis Mittwoch ähnlich wie ein »Blitzermarathon« vorab angekündigt wurde, hat einen simplen Grund: Man will zwar aufscheuchen und schwarze Schafe entdecken. Vor allem aber will man der Öffentlichkeit zeigen: hier gibt es ein Problem - deswegen soll viel mehr Geld investiert werden, um es in den Griff zu bekommen.

Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat eine große Schwachstelle beim 2015 eingeführten Mindestlohns von derzeit 8,84 Euro entdeckt: die niedrige Kontrolldichte. Zuständig ist eine Zoll-Einheit namens »Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS)«.

Im vergangenen Jahr gab es bundesweit in Sachen Schwarzarbeit und Mindestlohnbetrug 52.209 Arbeitgeberprüfungen, dazu gehört etwa das Prüfen von Arbeitsverträgen und der Arbeitszeiterfassung. Als besonders betrugsanfällig gilt der Bau; mitunter werden Arbeiter aus Osteuropa als Billiglöhner von Baustelle zu Baustelle geschickt. Aber auch das Logistikgewerbe, die Landwirtschaft, das Fleischereigewerbe und zunehmend Pflegeberufe gelten als betrugsanfällig.

Im vergangenen Jahr wurden 107.903 Verfahren wegen Straftaten eingeleitet (2016: 104.494), die Gesamtschadenssumme wird mit 1,024 Milliarden Euro beziffert (2016: 876 Mio), erläutert das für den Zoll zuständige Bundesfinanzministerium. Wegen Nichtgewährung von Mindestlöhnen wurden im Vorjahr insgesamt 4759 Ordnungswidrigkeiten eingeleitet, davon 2521 wegen Verstößen gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Aber das ist nur die berühmte Spitze des Eisbergs.

Der Schaden ist oft enorm - zum einen für die Beschäftigten, denen viel Geld entgeht. Da ist nach Angaben von Experten zum Beispiel ein Fall aus Berlin, wo Zimmerfrauen in Hotels zwar offiziell der Mindestlohn gezahlt wird; aber sie müssen in der Arbeitszeit zugleich ein bestimmtes Kontingent an Zimmer schaffen, das kaum machbar ist in der Zeit. Brauchen sie länger, sinkt der Mindestlohn dadurch für sie deutlich. Ähnlich ist es oft in der Paketbranche. Zum anderen wird der Staat geprellt, wenn bei illegaler Beschäftigung und Mindestlohnbetrug Steuereinnahmen und Sozialabgaben wegfallen.

Razzia sind für die LINKE erstmal nur Schaufensterpolitik

Auf eine Anfrage der Linksraktion musste die Bundesregierung einräumen, dass die Zahl der durch die FKS geprüften Betriebe bisher sehr niedrig ist. 2017 wurden nur 2,4 Prozent der Betriebe kontrolliert. »Die Bundesregierung lässt die betroffenen Beschäftigten im Regen stehen, wenn sie nicht endlich reagiert«, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Susanne Ferschl.

Die Razzia ist für die LINKE erstmal nur Schaufensterpolitik. Wie viele schwarze Schafe es gibt, zeigt schon die Tatsache, dass trotz der niedrigen Kontrolldichte die Zahl der von der FKS eingeleiteten Verfahren wegen Nichtgewährung des gesetzlichen Mindestlohns seit 2015 um fast 2000 Verfahren im Jahr gestiegen ist.

Die FKS ist in 41 Hauptzollämtern an 113 Standorten bundesweit tätig und hat derzeit 6800 Mitarbeiter. Für die bis 2021 dauernde Regierungsperiode ist ein Zuwachs um mindestens 1400 Stellen geplant, dafür wird auch im Haushalt für 2019 entsprechend Geld eingeplant, der diese Woche erstmals vom Bundestag beraten wird - darüber hinaus sollen ab 2022 mindestens weitere 1500 Stellen garantiert werden. Doch reicht ein Plus von rund 3000 Stellen?

Die Arbeitsmarktexpertin der Grünen im Bundestag, Beate Müller-Gemmeke, kritisiert: »Die Ankündigung, zusätzliche Stellen zu schaffen, ist nicht neu. Das ist mittlerweile zu einer unendlichen Geschichte geworden, denn das hat die Bundesregierung bereits 2015 beschlossen«. Die FKS brauche endlich mehr Personal. »Es wird Zeit, dass der Mindestlohn flächendeckend und wirksam kontrolliert wird.«

»Das ist alles gut und schön«, sagt Dieter Dewes, Vorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ). Doch auch er bestätigt: Schon vom vorigen Bundestag seien mehr Stellen versprochen worden, wegen der Mindestlohneinführung. Von rund 8300 Planstellen seien bei der FKS bisher aber eben nur besagte 6800 besetzt. Zudem plane Scholz, dass es zusätzliche Kontrollaufgaben soll - was man sehr begrüße. »Das Täuschen beim Kindergeld und Sozialabgaben, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen: wenn ich das kontrollieren will, brauchen wir eine Befugniserweiterung«, meint Dewes.

Er habe mit Experten gesprochen, was man dafür an zusätzlichen FKS-Leuten brauche. »Die sagen mir: 5000 sind die unterste Grenze.« Er stelle sich die Frage: Wo sollen die ganzen Leute herkommen? Es gebe jetzt schon einen Mangel an qualifiziertem Personal. Dewes denkt auch an die Folgen durch den Brexit, wenn Ware aus England anderen Zollsätzen unterliegt und der Zoll das kontrollieren muss.

»Man muss den Zoll stärken, nicht nur die Bundespolizei«, fordert Dewes. Auch die Grünen-Arbeitsmarkexpertin Beate Müller-Gemmeke fordert endlich Taten, damit der Mindestlohn wirksam kontrolliert werde. »Denn sonst steht er nur auf dem Papier.« dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal