Kein Nebenkanzler: Seehofer in Moskau

Der bayrische Ministerpräsident will am heutigen Mittwoch Präsident Putin treffen / Russland-Besuch ist bei der Opposition und selbst in der CDU stark umstritten

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Heikle Reise, heikler Zeitpunkt: CSU-Chef Seehofer besucht den russischen Präsidenten Putin in Moskau. Vor dem Abflug reagiert Seehofer äußerst gereizt auf den Chor der Kritiker.

Berlin. Ein geplanter Besuch von CSU-Chef Horst Seehofer beim russischen Präsidenten Wladimir Putin stößt parteiübergreifend auf Kritik. »Bei Herrn Seehofer weiß man ja manchmal nicht so genau, welche neuen Positionen er über Nacht entwickelt«, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. »Insofern habe ich gerade in der Außenpolitik und gerade im Gespräch mit Russland kein gutes Gefühl damit, wenn er nach Russland reist.«

Seehofer suche jede Bühne, die sich ihm biete und nutze dies für Angriffe gegen die CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sagte Barley am Sonntag in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. »Ich hoffe sehr, dass dieser Besuch in Russland nicht auch in diese Richtung geht.« Seehofer will am Donnerstag zu Putin nach Moskau reisen.

Auch in der Union wird die angekündigte Reise des bayerischen Ministerpräsidenten kritisch gesehen. »Seehofer hat sich in der Flüchtlingsdebatte eindeutig gegen die Bundeskanzlerin positioniert - ich hoffe, dass er die Reise unterlässt«, sagte Roderich Kiesewetter (CDU), Obmann für Außenpolitik in der Unionsfraktion, der »Welt am Sonntag«.

»Russland kooperiert mit rechtsradikalen Parteien - auch bei uns in Deutschland«, fügte der CDU-Politiker hinzu. »Wenn Seehofer fährt, muss er die Russen mahnen, die hybride Informationsfälschung und die verdeckte Finanzierung von rechtsradikalen Netzwerken einzustellen.«

Zuletzt hatte der Fall eines vermeintlich entführten und vergewaltigen deutsch-russischen Mädchens aus Berlin zu Verwerfungen in den deutsch-russischen Beziehungen geführt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte der Berliner Polizei unterstellt, die angebliche Entführung aus Gründen der politischen Korrektheit vertuscht zu haben. Das Mädchen hatte behauptet, von drei »südländisch« aussehenden Migranten entführt und über viele Stunden vergewaltigt worden zu sein. Später stellten sich ihre Angaben laut Polizei als unwahr heraus.

»Es ist gut, wenn Gesprächskanäle nach Moskau geöffnet und nicht geschlossen werden. Dass ausgerechnet Seehofer dafür der richtige Mann ist, bezweifle ich«, sagte der Linken-Politiker Stefan Liebich der »Welt«. Denn Seehofer werde »sicher nicht kritisieren, dass die öffentlichen Zweifel der russischen Regierung an der Berliner Polizeiarbeit Wasser auf die Mühlen von AfD und Pegida ist«.

»Die Nebenaußenpolitik, die Herr Seehofer betreibt, ist peinlich«, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im ZDF. »Und man muss sich große Sorgen machen, was Herr Seehofer jetzt in Russland wieder treibt.« Wenn Seehofer mit Putin über die Sanktionen sprechen wolle, »kann nur was rauskommen, was für die Bundesrepublik Deutschland eine Peinlichkeit ist«.

Die Russlandkorrespondentin des Deutschlandfunks Gesine Dornblüt berichtet über die Darstellung des Seehoferbesuches in den russischen Medien. Dort werde Seehofer als Gegner von Kanzlerin Merkel dargestellt, u.a. im puncto Flüchtlingspolitik. Das staatsnahe Fernsehen stelle Flüchtlinge als eine Bedrohung für Europa dar und verbreitet auch nachweislich erfundene Geschichten, wie die der Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin-Marzahn. Russische Medien suggerierten, in Deutschland sei es verboten, Merkels Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Seehofer würder dagegen als Stimme der Vernunft dargestellt.

Seehofer wies alle Vorwürfe am Sonntag im ZDF zurück. »Wir machen keine Nebenaußenpolitik«, hob er in der Sendung »Berlin direkt« hervor. Seine Reise begründete er einerseits mit den traditionell engen Beziehungen zwischen Bayern und Russland. Zudem hob er hervor, dass angesichts von »vielen, vielen politischen Brandherden« der Dialog mit Moskau fortgeführt werden müsse.

Seine Kritiker bei der Opposition und in der CDU kanzelte Seehofer als »fünftklassige Politiker« ab. »Es kann kein vernünftiger Politiker ein Interesse daran haben, dauerhaft Sanktionen zu haben«, sagte Seehofer. Um in den Medien ein Echo zu finden, »reicht es heute aus, wenn Sie Dummes daherreden«, stänkerte Seehofer gegen die Kritiker. Lesen Sie hierzu unseren Kommentar von Wolfgang Hübner.

Abgesehen von Putin will Seehofer bis Donnerstag mit dem Industrie- und dem Wirtschaftsminister sowie dem Moskauer Bürgermeister zusammenkommen. Druck für eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Moskau kommt vor allem aus der bayerischen Wirtschaft. Deren Geschäfte in Russland sind in den vergangenen zwei Jahren um die Hälfte geschrumpft, wie Seehofer berichtete.

Und tatsächlich, Rückenwind für Seehofers diplomatischen Vorstoß kommt aus der bayrischen Wirtschaft. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), Bertram Brossard, rechnet im Deutschlandfunk vor: »Fakt ist, dass wir im letzten Jahr über 30 Prozent unseres Exportes nach Russland verloren haben, während wir ein Jahr zuvor schon knapp 14 Prozent verloren hatten.« Entwöhnungsphase der beiden Volkswirtschaften verhindern »Für uns gilt es jetzt daran zu arbeiten, dass, unter Geltung der Sanktionen die wirtschaftlichen Kontakte soweit wie möglich erhalten bleiben. Wir müssen vermeiden, dass es eine Entwöhnungsphase der beiden Volkswirtschaften gibt. Da würden andere einspringen.« Agenturen/nd

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