Beim Fischer riecht es nach Eierkuchen

Unterm Schloonsee in Bansin liegt ein Vermögen - oder der Ruin der Ostseegemeinde Heringsdorf?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 8 Min.

Gas-Alarm am Ostee-Strand - Urlauber meiden Usedom ... Welch Horrormeldung! Sie ist frei erfunden. Nicht erfunden ist die riesige Gasblase, die sich auf 17 Quadratkilometern vor der Küste in rund 3000 Metern Tiefe erstreckt. Sie wartet auf die Bohrer des französischen Unternehmens ENGIE. Ein altes, bereits von der DDR eröffnetes Projekt lebt wieder auf. Oder doch nicht? Erkundungen vor Ort.

Das tut einfach gut! Wandern am Ostseestrand, wo einem alles so bekannt ist. Selbst Strandläufer tun vertraut. Möwen schaukeln auf den sanften Wellen. Krähen bedauern, dass sie die Natur nie schwimmen lehrte. Eingepackt in einen Rollkragenpullover und geschützt von einer winddichten Jacke mit Kaputze läuft es sich gut. Der Sand ist fest, es hat geregnet. Die Strandkörbe sind im Winterquartier. Verglichen mit den Urlauberhochzeiten sind jetzt nur wenige Menschen unterwegs in den Kaiserbädern zwischen Ahlbeck und Bansin. Mittendrin liegt Heringsdorf, das neben dem fast mondänen Renommee den gemeinsamen Gemeindenamen beisteuert.

Unweit der Ahlbecker Seebrücke hält Fischer Uwe seinen Imbiss offen. Da riecht es immer gut nach Frischgeräuchertem. Nicht jedoch jetzt. Der Duft von Eierkuchen überdeckt das Erwartete. Wo kommt der her? Verrückt. Irgendwie ist alles etwas seltsam zur Zeit am östlichen Strand der östlichsten deutschen Ostseeinsel.

Gerade beim Gespräch mit dem Bürgermeister hat der einem ganz andere Gerüche ins Hirn versenkt. Einen schwefligen, den nach faulen Eiern. Freilich hat Lars Petersen auch gesagt, das wird wohl kaum so kommen, wenn ENGIE hier bohrt und dann Erdgas fördert. Das jedenfalls haben ihm die Leute vom Konzern versichert, er selber sei kein Fachmann, er könne »gerade einmal Laub- von Nadelbäumen unterscheiden«.

Petersen, groß, sportlich, agil und 2012 ins Amt gewählt, hat das Wohl der Gemeinde zu befördern. Klar bleibe der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Rund 3,5 Millionen Übernachtungen im vergangenen Jahr sind ein unumstößliches Argument dafür. Doch warum liegenlassen, was sich bietet? Zumal dann, wenn man es nicht verhindern kann. Aldi und Lidl sind wichtig für jeden Ort, doch von dem, was sie verdienen, bleibt nichts hier. »Allenfalls die Straßen machen sie kaputt mit den Versorgungslastern.« Die Fahrtrassen sind marode, von den Bürgersteigen ganz zu schweigen. Zur Renovierung einer Grundschule gebe man sieben Millionen Euro aus, neun weitere für ein zweites Bildungsobjekt. Die alte Bruchbude an der Strandpromenade, die mal ein Kulturhaus gewesen sein soll, wird zu einem Tourismuszentrum ausgebaut. Die Therme verschlingt Sanierungsmittel. Da kann ein Unternehmen wie ENGIE, das Steuergeld vor Ort lässt und vielleicht noch ein paar soziale Zuwendungen, schon hilfreich sein.

Womit wir wieder bei dem eigentlichen Problem sind. ENGIE ist ein Energiemulti. Ihm gehört der Inhalt der Gasblase, die zum überwiegenden Teil vor der Küste der Kaiserbäder liegt. 30 oder gar 40 Jahre wird der Vorrat reichen.

1994 hat das französische Unternehmen Gaz de France, das heute ENGIE heißt, ein ehemaliges DDR-Kombinat von der Treuhand übernommen. Das hatte Anfang der 80er Jahre auf Usedom erfolgreich Probebohrungen durchgeführt. Bereits 2002 nahm der Konzern einen Anlauf zur Förderung. Man wollte das Gas vor Ort in Strom umwandeln, hatte jedoch den Plan ohne den Widerstand der Bürger gemacht. Die Aktionsgemeinschaft Ferieninsel Usedom sammelte über 5000 Unterschriften gegen das Projekt. Nun gibt es einen erneuten Anlauf. Beider Seiten. Doch da das Unternehmen erstens Eigentümer ist und zweitens fachlich in der Lage, so ein Projekt zu stemmen, sehen Fachleute im Land keine Möglichkeit, eine entsprechende Bohr- und Fördergenehmigung zu versagen. Das sagt niemand offiziell, doch die Hinweise sind so nachdrücklich, dass auch Bürgermeister Petersen keinen Sinn darin sieht, mit einem zu erstellenden Gutachten vor Gericht zu ziehen - wenn demnächst der Bauantrag kommt.

Der Konzern hat sich zudem entschlossen, das Gas nicht zu verstromen, sondern in das ohnehin zu sanierende Leitungsnetz einzuspeisen. Dessen Hauptrohr freilich einen größeren Querschnitt erhalten muss, um die stündlich anfallenden 25 000 Kubikmeter Gas zu transportieren. Wer alles mal 30 Jahre hochrechnet, kommt zu einer Gasmenge von rund 6,5 Milliarden Kubikmetern. Das bietet schon eine gewisse Unabhängigkeit vom Rohstoff aus Russland. Die ist nach der Ukraine-Krise EU-weit gewünscht. So lässt sich auf Usedom auf neue Art Gewinn machen. Zumal dann, wenn man mit der Losung wirbt: Aus der Region, für die Region.

Man muss das Gas, das offenbar einen hohen Schwefel- und Stickstoffanteil hat, reinigen. Dazu brauche man nur wenige Gebäude, hohe Fackeln seien auch nicht nötig, zwei Lkw pro Tag würden ausreichen, um den Schwefel zur Weiterverarbeitung in chemische Betriebe zu bringen. Sagt die Firma und betont: »Die Belastung ist also kaum spürbar. Natur und Umwelt spüren kaum etwas.« Lästige Schwefelgerüche sind nicht zu befürchten, man sei doch nicht des Teufels. Auch den Schreckensbegriff »Fracking« wehrte man ab, das Gas komme von ganz allein an die Oberfläche. So wurde es auf einer Einwohnerversammlung erklärt, zu der in der vergangenen Woche 120 mehr oder minder Besorgte gekommen waren. Rasches Durchzählen hat ergeben: 70 Einwohner waren gegen das Projekt, 30 dafür. Da hatte man schon investitionsfeindlichere Zeiten auf Usedom erlebt, sagen die Macher.

Na also. Aber was verhindert, dass noch mehr Einwohner in Jubel ausbrechen? Vor allem der Standort, von dem aus gebohrt werden soll, schreckt ab. 25 Hektar groß ist das Gelände, über das ENGIE verfügt. Es wird alles modern, sicher umzäunt, ständig erleuchtet. Ach ja, leise sei es hier auch. Doch wo ist dieses »Hier«?

Das Betriebsgelände breitet sich am südlichen Ufer des Schloonsees aus. Der liegt im Ortsteil Bansin, da wo die Maxim-Gorki-Straße Richtung Heringsdorf führt. Am See gibt es Hotels und ganz viele Ferienwohnungen. Noch.

Die haben einen Vogel, sagen die, die dort wohnen und Urlauber empfangen. Auch Bürgermeister Petersen, der im Marschgebiet zwischen den Atomkraftwerken Brunsbüttel, Brokdorf und Stade relativ sorglos aufgewachsen ist, meint: »Der Standort ist der denkbar schlechteste!« Petersen hat inzwischen gelernt, die Sache mit dem Fortschritt vom Ende her zu denken. Nicht nur, weil er vor seiner Bürgermeisterzeit als gehobener Bundespolizist dafür sorgen musste, dass die Castoren an atomare Zwischenlager durchgeschoben wurden. Auch nach Lubmin, was nur ein paar Kilometer hinterm Bansiner Achterwasser entfernt liegt.

Er denkt über eine einvernehmliche Lösung, also über die Quadratur des Kreises, nach. Die kann angesichts der offenkundig eindeutigen Rechtslage nicht von »unten« kommen. Und von »oben« gleich gar nicht,

Petersen schlägt ENGIE einen Deal vor. Er weiß, dass die Firma nur ein Fünftel ihrer 25 Hektar Fläche benötigt. Die bietet er an zwei anderen Standorten zum Tausch an. Etwas außerhalb von Bansin, hinterm Friedhof, liegt das ehemalige Klärwerk im Wald. Längst sind die Betonbecken überwuchert. Dahin würde sich kein Urlauber verlaufen.

Dafür könnte die Gemeinde das Gelände am Schloonsee kostenlos übernehmen. Und erschließen. Der Gedanke an 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter lassen nicht nur den Gemeindekämmerer träumen.

Was aber, wenn dem Konzern das Alternativgelände missfällt? »Dann bieten wir ihm die alte Russenkaserne an.« Eine Russenkaserne? Nie gesehen. Doch tatsächlich gibt es hinter Ahlbeck in Richtung polnische Grenze ein Areal, das man nur entdeckt, wenn man nach den Bunkeranlagen sucht. Als die Lage in Solidarność-Polen unsicher wurde, wollte die sowjetische Führung eine neue Nachrichtenverbindung zu ihren in der DDR stationierten Truppen. Man verlegte ein Seekabel von Kaliningrad aus. Bei Ahlbeck kroch es an Land. Nach dem Abzug der russischen Armee blieben ausgeräumte und zugemauerte Betonanlagen zurück. Fünf Hektar Bohrstandort samt Aufbereitungsanlage ließen sich auch dort schaffen. Allenfalls aus der Bäderbahn heraus könnte man die sehen.

Leider gibt es aber noch zwei weitere Alternativen. Man könnte offshore fördern, also eine Plattform vor der Küste errichten, Rohre an Land ziehen. Selbst wenn man alles mit Goldlack überziehen würde, bekäme man wohl kein Glänzen in die Augen der sonnenhungrigen Badefreunde.

Eine weitere Alternative bieten die polnischen Nachbarn. Kommt her, sagen die Autoritäten aus Świnoujście. Wir holzen mal locker fünf Hektar Wald ab. Dass dies kein leeres Versprechen ist, kann man daran sehen, dass dort in letzter Zeit Bettenburgen entstehen, die weit über das Übliche hinausragen. Nun will man unmittelbar hinterm Grenzübergang Bäume roden, um Raum für eine Großtankstelle zu schaffen. Es ist nicht weit her mit grenzüberschreitender Regionalplanung, scheint es. Und man erinnert sich mit Grauen an die Goldgräberstimmung, die nach der Wende auf dem deutschen Teil der Insel herrschte. Es entwickelt sich eben alles.

Wohin? Vor wenigen Jahrzehnten noch hätte es geheißen: Zum Besseren. Da gab es auf der Insel noch ein paar hundert Fischer - nun noch Uwe und seinen Schwiegersohn. Die Kormorane und die Fangquote machen beiden zu schaffen. Kommt jetzt auch noch der Gaskonzern? Uwe ist Strandfischer in sechster Generation. Er beherrscht sein Handwerk und den Appetit der Urlauber. Weil es davon jetzt nur wenige gibt, liegen seine Kutter, die er mit dem alten Belarus-Traktor ins Wasser und an den Strand zieht, auf dem Trockenen. Und es riecht nach Eierkuchen.

Irgendwie Seltsames geht in dieser Zeit auf Usedom vor.

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