nd-aktuell.de / 09.02.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Obergrenze leicht zu umgehen

IG Metall kritisiert Überstundenpraxis bei Fielmann-Tochter in Rathenow

Gerhard Klas
Eine Betriebsvereinbarung soll die Höchstarbeitszeit der Mitarbeiter der Brillenfertigung bei Fielmann in Rathenow begrenzen. Die Gewerkschaft ist skeptisch.

Fielmann, der unumstrittene Marktführer in der Brillenbranche, hat ein Image als mitarbeiterfreundlicher Familienbetrieb. Er produziert nicht im Ausland, sondern im brandenburgischen Rathenow: 3,5 Millionen Brillen allein im vergangenen Jahr. Nach einem Rekordumsatz 2014 schüttete die Aktiengesellschaft mehr als 134 Millionen Euro Dividende aus. Gleichzeitig klagen aber Beschäftigte im Produktions- und Logistikzentrum der Konzerntochter Rathenower Optische Werke, einem Betrieb ohne Tarifbindung, über befristete Arbeitsverträge, kurzfristig anberaumte Überstunden und schlechte Bezahlung auf Mindestlohnniveau.

Vor allem die überbordende Arbeitszeit - teils mehr als 50 Stunden in der Woche - führte zur Unzufriedenheit in der Belegschaft, berichtet Work-Watch, eine von Günter Wallraff mitgegründete Initiative gegen Arbeitsunrecht und prekäre Beschäftigung. Festgelegt war die Arbeitszeitregelung in einer Betriebsvereinbarung von 1997, die der Initiative vorliegt: »Obergrenze der regelmäßigen Arbeitszeit sind 50 Stunden die Woche, zehn Stunden am Tag. In Ausnahmefällen kann die Verteilung der Arbeitszeit auf sechs Tage erfolgen.« Die Ankündigungsfrist für Mehrarbeit beträgt eigentlich drei Tage. »Aus dringenden betrieblichen Gründen ist im Ausnahmefall auch eine kürzere Ankündigungsfrist zulässig.«

Die Ausnahmeregelung sei immer wieder zur Anwendung gekommen, lautet der Vorwurf. Wenn die Betriebsleitung freitags mitteile, wer samstags Überstunden leisten müsse, sei eine Freizeitplanung mit der Familie zum Scheitern verurteilt. Unter solchen Bedingungen sei der Krankenstand unter den etwa 500 Mitarbeitern der Brillenfertigung auf über zehn Prozent gestiegen. Lars Buchholz, der zuständige Sekretär der IG Metall (IGM), findet es absurd, dass ausgerechnet dieser Krankenstand nun immer wieder als Begründung für Überstunden der Mitarbeiter herhalten muss. Ein Teufelskreis, der die Gesundheit der Mitarbeiter gefährde.

Vor allem IGM-Betriebsräte haben die Missstände kritisiert und sind dafür an den Pranger gestellt worden. Buchholz, der den Betrieb seit mehr als drei Jahren betreut, weiß von Fällen, in denen aktive Betriebsratsarbeit denunziert wurde: Rundgänge der Betriebsräte und Gespräche mit Kollegen würden Arbeitsabläufe und so den Betriebsfrieden stören. Diesen Vorwurf habe sogar die Ex-Betriebsratsvorsitzende, die über zehn Jahre jede Anfrage der Geschäftsleitung abgenickt habe, formuliert. Sie gehört weiter der arbeitgebernahen Betriebsratsmehrheit an. Diese habe laut Buchholz 2015 keine Betriebsversammlung einberufen, obwohl ihr vier im Jahr gesetzlich zustünden.

Die Mitarbeiter hoffen nun auf die neue Betriebsvereinbarung, die Anfang dieses Jahres nach »zähen Verhandlungen« (Buchholz) unterzeichnet wurde. »Die Belastung für unsere Mitarbeiter wird dadurch deutlich gesenkt«, betont Geschäftsführer Günter Schmid, der von Verhandlungen »in sachlicher Atmosphäre«, geprägt von gegenseitigem Verständnis berichtet. Konkrete Zahlen zum Beispiel zum aktuellen Krankenstand will er aber »aus Wettbewerbsgründen« nicht nennen. Gewerkschafter Buchholz ist skeptischer: Die Vereinbarung sei zwar besser als die alte, falle aber hinter den Standard anderer Betriebsvereinbarungen in vergleichbaren Unternehmen zurück.

Herausgekommen sei eine Vereinbarung des »kleineren Übels«: Die wöchentliche Höchstarbeitszeit entspricht nun den gesetzlichen Vorgaben und ist auf 48 Stunden begrenzt - obwohl die meisten Mitarbeiter Verträge über eine 40-Stunden-Woche haben. Die Ankündigung für Samstagsarbeit beträgt »im Regelfall« drei Tage, kann aber immer noch »aus dringenden betrieblichen Gründen« in Abstimmung mit dem Betriebsrat unterschritten werden. Einzelne Überstunden in der Woche kann die Geschäftsleitung kurzfristig anordnen.

Als Pferdefuß könnte sich etwa die Regelung zur Obergrenze von 80 Überstunden erweisen: Das Überstundenkonto kann jederzeit ausgeglichen werden und eben nicht nur einmal im Jahr oder im Quartal zum festgesetzten Stichtag. So kann diese Obergrenze leicht unterlaufen werden: Findet ein Ausgleich statt, können die jeweiligen Beschäftigten wieder neue Überstunden ansammeln.

Das entspricht laut Buchholz dem Anliegen der Geschäftsleitung: Sie wolle die Arbeitszeit weiter möglichst flexibel gestalten, um auch große Nachfrage zügig bedienen zu können. Der Fielmann-Konzern kündigte kürzlich an, 110 neue Filialen aufbauen zu wollen.