nd-aktuell.de / 20.02.2016 / Politik / Seite 4

Ahnungslos wie am ersten Tag

NSU-Untersuchungsausschuss fragte BKA-Chefermittler nach Brandstiftung in Zwickau

René Heilig
Die Ermittlungen seien »von allen Seiten mit großer Vehemenz und sehr engagiert« geführt worden, sagte BKA-Kriminaldirektor Werle vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Und bewies das Gegenteil.

Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zwei von angeblich nur drei Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), überfielen am 4. November 2011 eine Sparkasse in Eisenach und nahmen sich anschließend in einem Wohnmobil das Leben. Kurz danach versuchte deren Kumpanin Beate Zschäpe in Zwickau, alle Beweise, die die Gruppe mit zehn Morden, mehreren Bombenanschlägen und Überfällen in Beziehung brachten, zu vernichten. Sie steckte das letzte Quartier der in der Zwickauer Frühlingsstraße illegal lebenden Gruppe in Brand. Die Geschichte ist bekannt und so vor dem Münchner Oberlandesgericht, bei dem Zschäpe eine Hauptrolle spielt, angeklagt. Aber stimmt sie?

Das wollen die Mitglieder des zweiten NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses herausfinden. Er war im November eingesetzt worden und begann am Donnerstag mit der Beweisaufnahme. Die Mitglieder wissen: Die Zeit arbeitet gegen sie und es wird immer schwerer, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. Verschwörungstheorien sprießen wie Krokusse im Frühling, um so verdienstvoller war die Aussage des wichtigsten Zwickauer Brandursachenermittlers, der nun vor dem Ausschuss berichtete.

Die Tatsachen: Am 4. November 2011 war bei der Feuerwehr in Zwickau ein Notruf eingegangen. In der Frühlingsstraße sei das Haus Nummer 26 explodiert, die erste Etage stehe in Flammen. Benzingeruch machte rasch klar, dass es sich um keinen Unfall handelte. Brandexperten der Polizei waren zur Stelle, witterten zu Recht einen Tatort und begannen mit den Untersuchungen. Die waren kompliziert, denn die Explosion und das Feuer hatten zum Teil gründlich gewütet. Doch nicht gründlich genug.

Schon gegen Mitternacht habe es einen brisanten Hinweis eines Bürgers gegeben. Er informierte die Polizei, dass das in Eisenach gefundene Wohnmobil mit den toten Bankräubern noch am Vortag vor dem Haus in der Frühlingsstraße geparkt hatte. Nach dem Tipp beschlagnahmte Kriminalhauptmeister Frank Lenk, der Brandursachenermittler, am 5. November gegen 2 Uhr das gesamte Gebäude, weil die Sicherheit von Spuren nunmehr hohe Priorität bekommen hatte. Und tatsächlich, schon am Nachmittag des Folgetages fand er in einem offenen Wandsafe eine Handfessel. Die eingeprägte Nummer zeigte, dass sie der Polizistin Michèle Kiesewetter aus Baden-Württemberg gehörte. Die junge Beamtin war am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn erschossen worden. Ohne Erfolg hatte man bis dahin über die Bundesgrenzen hinaus nach den Tätern gesucht.

Lenk informierte detailreich über die Tatortarbeit - wo er welche Waffe in welchem Zustand fand, wo Geldbündel lagen. Er berichtete, wie er eine Art Mordarchiv getrocknet und damit für weitere Untersuchungen erhalten hat. In dem Schnellhefter waren Zeitungsausschnitte über acht der mutmaßlich zehn vom NSU begangenen rassistischen Morde sowie vom Nagelbombenanschlag in Köln gesammelt. Alles steckte in Prospekthüllen, nummeriert von eins bis neun. Es gab jede Menge Bankbanderolen, die auf Überfälle hinwiesen. Viele Kleidungsstücke waren vom Feuer verschont worden, ebenso Masken, Ausweise und Pässe. Echte und echte falsche. Insgesamt 1800 Spuren hat Lenk addiert und dokumentiert, aus denen dann bei weiteren Untersuchungen 2250 wurden. Der Kriminaltechniker machte kein Hehl daraus, dass er manche Fragen noch immer nicht beantworten kann und dass in so manchem Detail diverse Erklärungsmuster nebeneinander stehen.

Die sächsische Ermittlungsgruppe »Frühling« war bis zum 10. November 2011 mit den Nachforschungen betraut. Da hatte man dann die versandfertig in der ausgebrannten Wohnung gefundenen DVD ausgewertet, auf denen sich »Paulchen Panther« zu den rassistischen Morden an neun Mitbürgern mit ausländischen Wurzeln und der Polizistin bekannte. Zugleich bestätigten Beschussversuche, dass die im Zwickauer Brandschutt gefundene Ceska-83-Pistole mit Schalldämpfer eine mehrfach benutze Mordwaffe war.

Der »Fall Zwickau« wuchs zu einem politischen Skandal heran. Denn bislang hatte man die Mordserie, die zwischen 2001 und 2007 unter dem Begriff »Dönermorde« als Rivalitäten im Drogen- oder Mafiabereich abgetan wurden. Sogar die Familien der Opfer standen in Verdacht.

Im Auftrag des Generalbundesanwaltes trat nun das BKA auf den Plan und übernahm - so wie in Thüringen - in Sachsen die weiteren Ermittlungen. Bis zum 30. Juni war in Zwickau der heutige Kriminaldirektor Thomas Werle Leiter des regionalen Ermittlungsabschnitts Sachsen des BKA. Daher, so meinte der Untersuchungsausschuss, sei er der Zeuge, der den weiteren Recherchegang kompetent erläutern könnte. Geredet hat Werle viel, aber kaum etwas gesagt.

In den ersten Tagen sei das Informationsaufkommen »geradezu explodiert«. Doch was haben er und seine aus Wiesbaden und Meckenheim nachgeführten Polizisten daraus gemacht? Seit November 2011 gibt es zahlreiche immer wieder geäußerte Fragen, die auch bei den Ermittlern eine hohe Priorität gehabt haben müssten. Eine lautet: Wer wohnte wirklich in der Frühlingsstraße? Klar ist: Für einen Drei-Personen-Haushalt - mit vier Schlafstellen - waren der Wasser- und der Stromverbrauch zu gering. Beate Zschäpe, die Überlebende des angeblichen Zwickauer Trios, die sich vor dem Oberlandesgericht München unter anderem wegen des Vorwurfes der Brandstiftung zu verantworten hat, schweigt dazu.

Was also haben die Kriminalisten des BKA ermittelt? Glaubt man Werle, dann ist das Bundeskriminalamt so ahnungslos wie in den Novembertagen vor über vier Jahren. Doch warum? Allein durch die Untersuchung der in der Wohnung gefundenen und an zahlreichen Objekten anhaftenden DNA-Spuren hätte man mehr über die tatsächlichen Bewohner erfahren können. Dachten sich vor allem jene Abgeordneten, die vor ihrer Wahl in den Bundestag als Polizisten gearbeitet haben. Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, sein CDU-Kollege Armin Schuster, der Linkspolitiker Frank Tempel und die Grüne Irene Mihalic fragten daher kundig nach. Und waren wie vom Donner gerührt, als der BKA-Kriminaldirektor behauptete, das Feuer habe alle DNA-Spuren vernichtet. Welch ein Unsinn! Die Zahnbürsten und andere Gebrauchsgegenstände waren in einem Topp-Zustand, der Keller blieb von Feuer und Löschwasser verschont. Und hat der- oder diejenige, die das Benzin in der Wohnung verspritze, wirklich Handschuhe getragen? An dem unversehrt gefundenen Kanister waren angeblich weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren zu entdecken.

Hat Werle ermittelt, wer nach dem angeblichen Selbstmord der beiden Uwes und dem Brand in Zwickau versuchte, Beate Zschäpe per Handy zu erreichen? Dokumentiert sind diverse Nummern, die auf das sächsische Innenministerium, ja sogar auf das Polizeihilfswerk verweisen. Manche Anrufe sind nachvollziehbar. Doch was ist mit jenen, deren letzte Ziffern vom Provider nur mit XXX angegeben wurden? Hat Werle nachgehakt? Vor dem Bundestagsausschuss zuckt er nur mit den Schultern.

Was ist mit den 30 Sekunden-Anrufen, die zwischen 16.32 Uhr und 21.06 Uhr unter der Zschäpe-Nummer registriert sind? Waren das sogenannte »Stille SMS«, mit denen Sicherheitsbehörden den Standort Zschäpes zu ergründen suchten? Und dann ist da noch die ominöse schwedische Handynummer, die in den fraglichen Zeiten sowohl in Eisenach wie in Zwickau eingeloggt war. Fragen über Fragen. Alles bekannt. Keine ist schlüssig beantwortet. So entstehen erst Verschwörungstheorien! Ein Zeuge sah die Uwes in einen auffällig zweifarbenen Q5-Audi steigen, ein anderer nahm einen der mutmaßlichen Mörder zu einer Autobahnraststätte nach Erfurt mit. Chefermittler Werle hat nicht einmal den Hauch einer Antwort dazu anzubieten. Er weiß nur, dass die abgehefteten Regionalzeitungen mit den »Dönermord«-Berichten zum Gutteil nicht in Zwickau gekauft worden sein können.

Was weiß Werle über Zschäpes tränenreichen Abschied von einer ehemaligen Nachbarin Anfang November? Was ermittelte er zu einem bezeugten Streit der drei am Wohnmobil? Warum ließ sich Zschäpe in jenen Tagen angeblich mit einem Taxi zu einem Anwalt fahren? Nichts. Werle weiß nichts, sagt er jedenfalls, und findet gar nichts dabei, dass er als einstiger BKA-Chef vor Ort nun so jämmerlich als Zeuge versagt.

Doch: Hat er wirklich versagt, oder ist er geradezu brillant - als Zeuge, der den Ausschuss ins Leere laufen ließ? Die Abgeordneten, so wurde noch am Donnerstagabend klar, wollen sich derlei »Unterstützung« kein zweites Mal bieten lassen.