Es reicht, Sachsen

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  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Tom Strohschneider über Clausnitz, die Reaktionen der Polizei und warum jetzt ein deutliches Signal der SPD nötig ist

Wenn ein rechter Mob gegen Geflüchtete grölend auf die Straße zieht, wenn die Polizei erst unterbesetzt zusieht und später die Asylsuchenden gewaltsam aus einem Bus zieht, in dem sie verängstigt auf die deutschen Zustände blicken, wenn dann noch die Verantwortlichen erklären, alles richtig gemacht zu haben und die Schuld denen zuschieben, die fürchten mussten, von Rassisten attackiert zu werden, und wenn am selben Abend noch johlend vor einer brennenden Asylunterkunft gegen Flüchtlinge gehetzt wird - dann ist man in Sachsen.

Heidenau, Dresden, Freiberg, Meerane und nun Clausnitz und Bautzen: Es kann nicht als Zufall abgetan werden, dass sich pogromartige Aufmärsche angeblich besorgter Bürger vor allem in diesem Bundesland häufen. Es ist das Sachsen der Pegida-Anhänger, die unter Reichskriegsflaggen Hetzreden beifallklatschend zuhören - aber beleidigt sind, wenn man sie als Mitläufer der Rechten bezeichnet. Es ist das Sachsen einer Justiz, der noch keine Mühe zu groß war, wenn es gegen Linke geht - die aber den Eindruck der Zurückhaltung im Vorgehen gegen Rechts hinterlässt, um nicht das Wort zu sagen, das einem durch den Kopf geht: Kumpanei. Es ist das Sachsen, in dem die Polizei einen ausländerfeindlichen Mob nicht in den Griff bekommt - aber stolz erzählt, sie sei für die nachfolgende antirassistische Kundgebung von »Linksextremen« gut gewappnet.

Es ist das Sachsen, in dem der CDU-Ministerpräsident zwischen Pegida-Versteherei und dem unionsinternen Wettlauf um die populistischste Anti-Asyl-Parole oszilliert - ein Land, in dem ein CDU-Politiker regiert, der die Rechtsstaat und Pressefreiheit einschränkenden Regime in Warschau und Ungarn verteidigt. Es ist das Sachsen, in dem Internetportale ihre Berichterstattung über Neonazi-Aufmärsche einstellen müssen, weil sie von der Polizei nicht ausreichend bei der Arbeit geschützt werden und von der Politik alleingelassen werden. Es wäre nun mindestens angemessen, die personellen Konsequenzen, die der Polizeipräsident von Chemnitz nicht ziehen will, in der Behörde durchzusetzen - und gleich auch noch auf den Verantwortlichen auszuweiten. Dieser Polizeipräsident ist nach dieser Pressekonferenz nicht mehr tragbar. Doch das reicht nicht.

Sachsens SPD-Chef Martin Dulig hatte am Freitag noch Maßnahmen nach dem Polizeieinsatz gefordert. Es sieht nicht so aus, als ob das »System Sachsen« dazu bereit ist. Im Gegenteil: Es nimmt diejenigen ins Visier, dies es vor ein paar Stunden noch kaum schützen konnte oder wollte. Die Sozialdemokraten haben am Sonntag mehr Aufklärung verlangt. Doch was soll da noch klarer werden? Es liegt jetzt an der SPD, ihren Worten der Solidarität mit Geflüchteten und ihren Appellen für Menschlichkeit Taten folgen zu lassen: mit einem politischen Fanal. Denn das ist nötig, wenn das Engagement gegen rechts nichts mehr bewirkt, wenn die Spielräume ausgeschöpft sind, in denen rhetorische Kritik noch etwas anrichten kann. Ja, es wurde viel geredet über und gegen die sächsischen Verhältnisse, gegen einen Zustand, in dem sich der Mob als Bündnispartner der Regierenden verstehen darf. Es wurden Appelle geschrieben, Erklärungen abgegeben. Doch all das hat die Mehrheit in Sachsen nicht aufgerüttelt. Das aber muss das Ziel sein.

Die Sozialdemokraten sollten deshalb die Landesregierung verlassen - das wäre ein ehrliches Zeichen des Protestes gegen die »sächsischen Verhältnisse«. Es wäre ein kleines Erdbeben, das nötig erscheint, um jene dazu zu bringen aufzustehen, die es bisher nicht tun. Es wäre eine Ermutigung für die vielen, die solidarisch sind, die sich gegen Rechts und für Demokratie engagieren. Es wäre ein Schnitt in die trügerische Normalität, die keine sein darf, solange Menschen um ihr Leben bangen müssen und der Staat zu wenig für ihren Schutz tut.

Und es könnte den Notausgang öffnen, von dem vielleicht ein Weg zurück in demokratische Verhältnisse in Sachsen wieder möglich wird. In einem Wahlkampf, in dem es genau darum geht: Dass Sachsen etwas anderes sein will und kann. Wann, wenn nicht jetzt wäre das nötig?

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