Hessens Landtag verschwindet digital

Keine Direktübertragung mehr, Facebook-Auftritt eingestellt - gibt es das Parlament noch?

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Während Pegida und die AfD die sozialen Medien professionell nutzen, hat der Landtag in Hessen seine öffentlichen Auftritte drastisch reduziert. Und ein Kurswechsel ist nicht in Sicht.

Mit der Parole »Hessen vorn« pries sich Hessen in früheren Jahrzehnten als Wegbereiter fortschrittlicher Trends an. Bei der Anwendung moderner Kommunikationstechniken im 21. Jahrhundert dürfte der Hessische Landtag allerdings im bundesweiten Vergleich eher das Schlusslicht bilden. Zwar empfängt auch der Wiesbadener Landtag viele Besuchergruppen und lässt ab und zu auch Jugendliche in die Rolle von Parlamentariern schlüpfen. Doch bei der großzügigen Anwendung elektronischer Medien für die Öffentlichkeitsarbeit legt die Parlamentsspitze eine erstaunliche Scheu an den Tag.

So beschloss der Ältestenrat des Parlaments Ende 2015, den kurzlebigen offiziellen Auftritt des Landtags im sozialen Netzwerk Facebook wieder einzustellen. Die Online-Redaktion des Landtages hatte das bis zuletzt unausgereifte Facebook-Experiment erst im Mai 2015 gestartet. Kurz vor Weihnachten beschloss der Ältestenrat dann auf Anregung von Landtagspräsident Norbert Kartmann (CDU) und Direktor Peter von Unruh die Einstellung der Seite - wegen eines zu geringen Echos. Bis dahin hatten - ganz ohne Werbung - immerhin rund 1500 Nutzer die Seite durch Drücken des »Gefällt Mir«-Buttons »geliked«.

Den Hinweis auf ein schwaches Online-Echo und einen angeblich zu großen Personalaufwand halten Oppositionsabgeordnete denn auch für ein Scheinargument. Schließlich befand sich das Projekt noch in der Testphase. »Während es andere Landtage hinkriegen, bestand hier überhaupt kein Interesse, ein Kommunikationskonzept so aufzubereiten, dass es auch viele Menschen interessiert«, so ein Abgeordneter auf »nd«-Nachfrage.

Dass der Hessische Landtag mit seiner schwarz-grünen Mehrheit auch an einer anderen Stelle mit der Öffentlichkeit fremdelt, zeigt die Einstellung der Direktübertragung von Plenardebatten per Internet-Livestream. Mehrere Jahre lang hatte der Frankfurter Privatsender FFH die Sitzungen mittels einer Standkamera in das Netz übertragen. Der Auftritt ließ allerdings zu wünschen übrig. So fehlten etwa Hinweise, Untertitel oder Bezüge auf die Tagesordnung in Form einer ansprechenden Moderation. Somit war es für Außenstehende ohne genaue Vorkenntnis oder eigene Internetrecherche manchmal schwer, die Zusammenhänge zu begreifen. Dennoch bedeuteten die Direktübertragungen ein Stück Transparenz, und das war CDU und Grünen offenbar ein Dorn im Auge. So wurde Insiderangaben zufolge auf Betreiben der Grünen der Vertrag mit FFH aufgekündigt. Kritiker sehen darin ein Stück Abschottung von der Öffentlichkeit und akzeptieren auch das Argument nicht, dass die zur Herstellung von Barrierefreiheit eingesetzten Gebärdendolmetscher als Kostenfaktor zu teuer geworden seien. Dass die Redebeiträge der Plenardebatten jetzt mit mehrtägiger Verzögerung einzeln auf der Internetplattform Youtube abgespielt werden können, ist für Kritiker ein schwacher Trost und kein angemessener Ersatz.

Unverständlich ist der mediale Rückzug des Wiesbadener Landtags auch für den Hamburger Blogger und Politikberater Martin Fuchs. Er könne nicht verstehen, dass in einer Zeit, da rechte Organisationen wie Pegida und die AfD die sozialen Medien professionell nutzten, der Hessische Landtag sich ausgerechnet dort ausklinke und damit die Möglichkeit verspiele, jungen Menschen Demokratie zu erklären. Andere Landtage in Ost und West seien in dieser Hinsicht viel weiter und betrieben teilweise sogar in eigener Regie Livestream-Auftritte, so der Blogger.

Fuchs hat als Reaktion auf die Wiesbadener Abstinenz zum Jahreswechsel eine neue Facebook-Seite mit der Bezeichnung »Hessischer Landtag« ins Leben gerufen. Mitte Januar ergänzte er die Bezeichnung durch den Zusatz »von unten«, um sich besser vor möglichen Urheberrechtsklagen zu schützen. »Gegen den neuen Titel können und wollen wir nicht vorgehen«, erklärte eine Landtagssprecherin auf »nd«-Anfrage.

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