Spur führt zum Geheimdienst

NSU-Untersuchungsausschuss: Aktenstudium lohnt und bringt das BKA in Bedrängnis

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn er könnte, würde er die NSU-Ermittlungen von vorne beginnen, sagte ein Zwickauer Polizeiführer vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der Frust ist nachvollziehbar.

Wer bislang gezweifelt hatte, ob eine Neuauflage des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum Thema Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) notwendig ist, dem müssen die Zeugenbefragungen am Donnerstag wie eine Offenbarung vorgekommen sein. Ursprüngliches Thema war wiederum die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26. Beate Zschäpe soll mit zehn Litern Benzin versucht haben, alle Beweise zu vernichten, die sie sowie ihre Freunde mit zehn zumeist rassistisch motivierten Morden, mit Bombenanschlägen und Banküberfällen in Zusammenhang bringen. Das war am 4. November 2011. An dem Tag hatten ihre Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach eine Bank überfallen und waren erschossen in ihrem Wohnmobil gefunden worden.

Alles bekannt, und die Zeugenliste des Tages versprach keine Neuigkeiten zum NSU. Gehört wurden drei verantwortliche Polizisten aus Zwickau, der Verwalter des Mietshauses und ein Bewohner, der als eine Art Hausmeister agierte. Von ihm hat die Polizei die Handynummer von Zschäpe erhalten. Mehrfach versuchten Polizisten, Zschäpe auf ihrem Handy zu erreichen - zunächst als Opfer, dann als mutmaßliche Brandstifterin. Man ortete am Freitagnachmittag sogar den Standort ihres Handys in Zwickau, doch nicht exakt genug, um sie zu finden. Soweit ist alles klar. Dumm nur, dass der Hausmeister vor dem Ausschuss erklärte, niemandem Zschäpes Handynummer gegeben zu haben. Weil er sie gar nicht hatte.

Gewiss, das ist nur ein Detail. Die Hektik, unter der die Ermittlungsgruppe »Frühling« der Zwickauer Polizei in diesen Tagen arbeitete, mag einiges erklären. Und vielleicht ist das Detail auch gar nicht erheblich. Allein: Es gibt noch zu viele solcher seltsamen Details. Die entstanden offenbar vor allem, nachdem das Bundeskriminalamt am 11. November 2011 die NSU-Ermittlungen übernahm. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Zwickauer die Bekenner-DVD ausgewertet, und das BKA war sich sicher, dass die im Brandschutt gefundene Ceska-83-Pistole die wichtigste Mordwaffe des NSU gewesen sei. Dazu und zur - wie es heißt - äußerst hilfreichen Mitwirkung von zwei Beamten des Stuttgarter Landeskriminalamtes gibt es noch einiges aufzuklären.

Am Donnerstag interessierten jedoch erst einmal Namen, die im sogenannten Lagefilm, das ist eine Art Einsatzchronik des Polizeiführungszentrums, auftauchen. Und zwar schon an diesem bewussten 11. November 2011. Unter dem Spurenkomplex 84 ist ein Thomas H. erwähnt. Der Chef einer Security-Firma aus dem Chemnitzer Hooligan-Umfeld soll gleichfalls eine Ceska 83 besessen haben. Zwei seiner Angestellten wurden beschuldigt, mit Baseball-Schlägern einen Punk erschlagen zu haben. Doch gab ihnen ein stadtbekannter Zwickauer Neonazi ein Alibi: Ralf M., Spitzname »Manole«. Man kannte ihn aus dem sogenannten Landser-Verfahren, in das zahlreiche Neonazis auch aus Berlin und Brandenburg involviert waren. Wie man inzwischen weiß, hatte er recht enge Kontakte zu den beiden NSU-Uwes - und zum Bundesamt für Verfassungsschutz. Als V-Mann. Ralf M. ist im Lagefilm unter Spurenkomplex 85 erfasst.

Durch Ausschussbefragungen kam heraus, dass die Ermittlungsgruppe »Frühling« am 11. November weitere Namen von verdächtigen Neonazis an das BKA übergeben hat: Jan W., Thomas D., Thomas H., die Brüder und das Ehepaar E., Max B., Mandy S. ... Die angeblich in der Folgezeit mühsam ermittelten NSU-Unterstützer waren dem BKA also bereits eine Woche nach dem Auffliegen des Terrortrios bekannt. Von allem hat der Chef des Regionalen Einsatzabschnittes, der vor gut einer Woche als Zeuge befragt wurde, keine Ahnung. Gab er jedenfalls zu Protokoll.

Das Datum 11. November 2011 ist auch deshalb interessant, weil just an diesem Tag im Bundesamt für Verfassungsschutz die »Aktion Konfetti« lief, bei der man widerrechtlich alle Akten zu V-Leuten aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrundes vernichtete.

Der Polizist übrigens, der die Ermittlungen am liebsten noch einmal von vorne beginnen möchte, lehrt jetzt an einer Polizeischule im Freistaat. Auch, wie man Ermittlungspannen vermeidet. Das scheint geboten. Gerade in Sachsen, aber nicht nur.

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