Scheinriese von Weltformat

Joachim Gauck wird sich wohl zu einer zweiten Präsidentschaft bitten lassen - eine Bilanz der ersten

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Als er 2012 in Bellevue einzog, jubelte die Rechte. Das hat sich zwar geändert - doch zu kritisieren gibt es weiter genug an Joachim Gauck.

Als Joachim Gauck Bundespräsident wurde, stellte er sich als »linker, liberaler Konservativer« vor. Und tatsächlich wollte ihn 1999 die CSU gegen SPD und Grüne aufbieten, 2010 war er umgekehrt deren Kandidat gegen Merkel - und gewählt wurde er 2012 dank der FDP. So viele Farben sind selten in der Politik.

Gauck hat ein Talent für Ambivalenz. Positiv ließe sich sagen, dass er sich schlecht festlegen lässt. Kritisch könnte man formulieren, dass er sich darauf versteht, nie ganz mit denen zu brechen, die Macht haben.

Gelernt hat er das wohl als DDR-Kirchenmann im Umgang mit dem MfS. Es gelang ihm, dessen Manipulatoren das Gefühl zu geben, ihn »bearbeitet« zu haben, ohne sich in Abhängigkeit zu begeben. Ob seine zuletzt vorgesehene Rekrutierung nicht irgendwann doch gelungen wäre, ist kaum zu beantworten. Klar ist aber, dass Gauck sich eine Win-win-Situation schuf: Hätte sich die DDR konserviert, hätte sich an seiner relativ günstigen Position als Halboppositioneller mit Westreiseerlaubnis nichts geändert. Hätte sie sich reformiert, hätte er ebenso mitspielen können wie im eingetretenen Fall des Beitritts. Diese Kompetenz des Unangreifbarseins hat Gauck tief verinnerlicht - in jenem Hang zur Eitelkeit, den ihm auch die wohlmeinendsten Biografen attestieren und der offenbar seine Triebfeder ist.

Was nämlich passiert, wenn Selbstverliebte nicht bewundert werden, zeigen die zwölf Jahre nach Ende seiner Amtszeit in der Unterlagenbehörde bis zu seiner Präsidentenwahl. Außerhalb des Rampenlichts - besonders nach der Kandidatur von 2010 - erschien er zunehmend beleidigt und bezog rechte Positionen. Vor seiner Wahl 2012 frohlockte daher die »Junge Freiheit«: »Im Gegensatz zu den Worthülsen von der ›bunten Republik‹«, mit denen sein Amtsvorgänger Christian Wulff »die drängenden Probleme der Zuwanderung (...) verharmloste«, seien »von Gauck nüchterne Äußerungen bekannt«. Genüsslich zitierte ihn das Rechtsblatt mit den auf einem Podium der »Neuen Züricher Zeitung« gefallenen Worten, die »Sprache der politischen Korrektheit« wecke »bei den Menschen das Gefühl«, die »wirklichen Probleme« sollten »verschleiert werden«. Im selben Gespräch hatte Gauck für das Zulassen von Gefühlen der »Überfremdung« geworben, die in Deutschland »verpönt« seien. So klingt heute die AfD.

»Wir werden mit ihm positive Überraschungen erleben!«, freute sich damals die Rechtspostille. Doch kam es etwas anders. Kaum war Narzissus zurück auf der Bühne, milderten sich zumindest manche seiner Positionen. So sehr man dem dem Präsidenten vorwerfen muss, keine »große Rede« zur Flüchtlingsfrage gehalten zu haben, so wenig kamen die rechten Rauner auf ihre Kosten. Heute ist gerade auch Gauck eine Hassfigur der Rechtspopulisten.

Zivilisiert hat er seine Hobbyhistorikerthesen, die sich zuvor am Rand des Revisionismus bewegten. Und selbst in seinem wunden Punkt - seiner Opferhaltung gegenüber Russland, die auf der Inhaftierung seines Vaters fußt - zeigte sich Gauck beweglich: Nachdem er 2014 in einer unfassbaren Rede zum 75. Jahrestag des Überfalls auf Polen eine Art Putin-Hitler-Vergleich gezogen hatte und dies auf breite Kritik stieß, widmete er sich 2015 als erstes bundesdeutsches Staatsoberhaupt überraschend deutlich dem Leid sowjetischer Kriegsgefangener.

Aus jeder humanistischen Perspektive unverständlich bleibt aber im Licht der Banken- und Griechenlandkrise Gaucks Gleichsetzung von Freiheit und Kapitalismus. Und atemberaubend ist die Verve, mit der er auf eine aggressivere, militärische Außenpolitik drängt. Seine berüchtigte Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2014 enthielt zwar keine Privatmeinung, sondern paraphrasierte die Doktrin des halboffiziellen Papiers »Neue Macht - neue Verantwortung« der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund.

Dass sich aber der selbst ernannte Großmoralist in Fragen von Krieg und Frieden derart mit einer Regierungsagenda gemein macht, weckt wenig gute Erwartungen an jene zweite Amtszeit, in die sich Gauck jetzt komplimentieren lässt: Auch, weil dies im Dauerstreit der schwarz-roten Koalition derzeit wohl das Einfachste ist, wird die Republik sich vermutlich darauf einstellen müssen, nach 2017 weiter mit ihrem Scheinriesen von Weltformat zu leben.

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