nd-aktuell.de / 07.03.2016 / Sonntagsschuss

Große Gefühle – ganz ohne Crystal Meth

Wie kommt es eigentlich, dass wir Sportjournalisten so pastoral werden, wenn irgendwo ein hochbezahlter Trainer entlassen wird?

Die Realität ist ein scheues Reh, nur selten gelingt es der Fiktion, ihr nahzukommen. Während es in Spielfilmen und Krimis immer fehlgeleitete Jugendliche oder zwielichtige Gestalten aus dem Milieu sind, die die echt harten Drogen konsumieren, sind es im echten Leben ja eher biedere Abgeordnete aus der Pfalz oder aus Köln. Die echten Jugendlichen konsumieren nur grausame Musik, das ist auch nicht schön.

Umso erstaunlicher, dass die Karrieren der biederen Abgeordneten dann völlig unhinterfragt enden, wenn sie dabei erwischt werden, andere Drogen zu nehmen als Korn, Bier, Schnaps und Wein. Als ob man nicht aus dem »Tatort« wüsste, dass auch Junkies nette Menschen sein können. Nun gibt es natürlich wirklich viele gute Gründe, Volker Beck nicht zu mögen – die Unsitte, Sachverhalte lange vorher zu kommentieren, bevor man sie erfassen kann, machte ihn aber nun weiß Gott nicht als einzigen Berufspolitiker aus. Und wir Journalisten mögen Zeitrafferreflektionen ja auch, weil Schnelligkeit halt die Währung schlechthin ist. Ein Prominenter, den wir anrufen und der sich Bedenkzeit (schönes Wort eigentlich) ausbittet, ehe er antwortet, würde schneller zum Kantinen-Joke werden als Söder twittern kann.

Zurück zu Beck: Genauso blitzschnell wie Beck zurücktrat, erfolgten auch die öffentlichen Reaktionen. Sie waren fast alle im Gestus eines Nachrufs verfasst erklärten im getragenen Ton Wesen und Wirken des gefallenen Politikers. Warum man so getragen und pastoral schreibt? Ich weiß es nicht, ich weiß aber, das wir Sportjournalisten im exakt gleichen Duktus dahinschmelzen, wenn es eine Trainerentlassung zu kommentieren gilt – ich habe das am Wochenende selbst getan und mich nur kurz über mich selbst gewundert. Das ist nun allerdings noch lächerlicher als die Nachrufe auf gedopte Politiker, schließlich bekommt so ein Armin Veh, wenn er von seinen Aufgaben als Trainer einer Erstligamannschaft entbunden wird, ja keine tödliche Krankheit, sondern weiter jeden Monat fürs Freigestelltsein so viel Geld wie ein Normalverdiener in zwei, drei Jahren seiner Lebenszeit. Mitleid verbietet sich da eigentlich.

Und jetzt befällt mich ein wirklich schrecklicher Gedanke: Wenn Mitleid ein viel zu starkes Gefühl ist, um es in Zusammenhang mit einer Sportart zu bringen, gilt das denn nicht auch für Trauer, Freude, Stolz, Wut, Neid und all die anderen Gefühlsregungen, die sich Wochenende für Wochenende regen?
Doch bevor ich diesen Gedanken jetzt zu Ende denke, halte ich es lieber wie Volker Beck und rede schon mal drauf los. Sie will ich damit allerdings nicht weiter belasten, also klappe ich schnell den Laptop zu und rufe einen Kollegen an...