WSI: Mindestlohn ist wirkungsvolle Untergrenze

Gewerkschaftsnahes Institut untersuchte 4.500 Vergütungsgruppen aus 40 Branchen / 97 Prozent der DGB-Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 8,50 Euro und mehr / In der Baubranche wird häufig weniger gezahlt

  • Lesedauer: 3 Min.
Der gesetzliche Mindestlohn wirkt in Deutschland gegen tarifliche Niedriglöhne. Das hat eine neue Untersuchung ergeben. Doch es gibt noch immer zahlreiche Firmen, in denen der Mindestlohn nicht gezahlt wird.

Düsseldorf. Die Zahl der Branchen mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Im Januar 2016 sahen nur noch drei Prozent der tariflichen Vergütungsgruppen Stundenlöhne unter dem seit einem Jahr geltenden gesetzlichen Mindestlohn vor, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag in Düsseldorf mitteilte. Anfang 2015 seien es noch sechs Prozent gewesen, Ende 2013 zehn Prozent und Anfang 2010 16 Prozent. Für die Studie hat das WSI-Tarifarchiv den Angaben zufolge rund 4.500 Vergütungsgruppen aus 40 Branchen und Wirtschaftszweigen untersucht.

Die Untersuchung habe gezeigt, dass 97 Prozent der Vergütungsgruppen aus den von DGB-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträgen Stundenlöhne von 8,50 Euro und mehr vorsehen. Mit einem Stundensatz von mindestens zehn Euro beginnen insgesamt 86 Prozent der Vergütungsgruppen. Zu diesen zählen unter anderem die Metall- und Chemieindustrie, das Bankgewerbe, das Baugewerbe, die Süßwaren-Industrie und die private Abfallwirtschaft. 15 Prozent der Tarifgruppen liegen mit ihrem Stundenlohn bei 20 Euro und mehr.

In einigen Branchen wie dem Bewachungsgewerbe, Hotels und Gaststätten, dem Fleischerhandwerk und dem Erwerbsgartenbau ist der Anteil der Niedriglohngruppen seit 2010 den Angaben zufolge besonders stark zurückgegangen. In der Floristik und in der Gebäudereinigung gebe es inzwischen keine Vergütungsgruppe unterhalb von 8,50 Euro mehr.

Insgesamt arbeiten rund 58 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland laut WSI-Tarifarchiv mit Tarifvertrag. Weniger als 8,50 Euro bekommen derzeit tariflich Angestellte in Landwirtschaft und Gartenbau, Textil- und Bekleidungsindustrie, Wäschereien sowie Leiharbeiter in Ostdeutschland. Für diese Branchen gilt noch eine Übergangsfrist; bis Ende 2016 müssen auch sie mindestens 8,50 Euro zahlen.

Der tarifliche Niedriglohnsektor wird nach Angaben von Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs, immer kleiner. »Der gesetzliche Mindestlohn hat sich so als wirkungsvolle Untergrenze und als Stütze der Tarifpolitik erwiesen«, sagte Bispinck.

Viele Unternehmen im Baugewerbe verweigern Beschäftigte den Mindestlohn

Es gibt jedoch noch immer Unternehmen, die ihren Beschäftigten rechtswidrig den Mindestlohn vorenthalten. Der Zoll hat im vergangenen Jahr wegen Verstößen gegen Mindestlohnregelungen Bußgelder in Höhe von insgesamt 43 Millionen Euro festgesetzt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die der Bundestag heute in Berlin veröffentlichte.

Die meisten Fälle betrafen das Baugewerbe: Laut Bundesregierung mussten Unternehmen der Branche insgesamt zehn Millionen Euro Strafe bezahlen, weil sie Arbeitnehmern den Mindestlohn verweigerten. Zusammengerechnet zwei Millionen Euro an Bußgeldern entfielen auf Gebäudereinigungsfirmen, gefolgt von der Sicherheits- und der Leiharbeitsbranche mit jeweils einer Million Euro Strafzahlungen. Die Pflegebranche musste knapp 500.000 Euro an Bußgeldern bezahlen.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls überprüft unter anderem Verstöße gegen das Mindestlohngesetz, das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Beamten haben laut Bundesregierung im vergangenen Jahr rund 43.000 Arbeitgeber geprüft. Das waren 20.000 Betriebe weniger als 2014. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist den Angaben zufolge zuständig für die Mindestlohn-Kontrolle in knapp zwei Millionen Betrieben mit insgesamt rund 34 Millionen Beschäftigten. Opposition und Gewerkschaften halten die Personalausstattung der Finanzkontrolle für zu niedrig. Agenturen/nd

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