»Wir leisten hier Aufklärungsarbeit«

Bundesweiter Aktionstag gegen geplante Rechtsverschärfungen bei Hartz IV

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Erwerbslosengruppen, Gewerkschaften und LINKE protestierten am Donnerstag gegen einen Gesetzentwurf, der für viele Hartz-IV-Bezieher zusätzliche Härten mit sich bringt.

Zu übersehen sind sie nicht, die etwa 30 Aktivisten, die am Donnerstagvormittag vor dem Berliner Jobcenter in Friedrichshain-Neukölln gegen die geplanten »Rechtsvereinfachungen« bei Hartz IV protestieren. Auf dem Gehsteig haben sie Dutzende bunter A4-Zettel verteilt, auf denen etwa die angedachte »Kürzung der Freibeträge« kritisiert und »Respekt« eingefordert wird. Zudem verteilen die in grelle Warnwesten gehüllten Demonstranten Informationsflyer an die vorbeigehenden Kunden des Jobcenters. »Wir leisten hier Aufklärungsarbeit, schließlich haben die Medien kaum über die geplanten Verschärfungen berichtet«, erzählt Michael P., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der 56-Jährige ist selbst Hartz-IV-Bezieher und engagiert sich im Berliner Erwerbslosenausschuss, der zum Bündnis »AufRecht bestehen« gehört, das an diesem Donnerstag zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen hat.

In 30 deutschen Städten protestieren Menschen gegen den Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium, der in der nächsten Woche erstmals dem Bundesrat vorgelegt werden soll. Er selbst sei auch betroffen, sagt Michael P., denn als Minijobber müsse er zukünftig damit rechnen, dass man im Amt seinen Erwerbstätigen-Freibetrag einfach nicht berücksichtigt. Somit würde er weniger Leistungen erhalten. Tatsächlich verstecken sich in den offiziell als »Rechtsvereinfachungen« bezeichneten Änderungen viele Härten für Hartz-IV-Betroffene. Wem das Jobcenter etwa unterstellt, er würde nicht genug tun, um die eigene Bedürftigkeit zu beenden oder durch eigenes Einkommen den Leistungsbezug zu verringern, dem könnten zukünftig empfindliche Strafen drohen. Der Entwurf aus dem Ministerium sieht hier eine Rückzahlungspflicht für die erhaltenen Leistungen vor. Da die Tilgung sofort erfolgen soll, könnte das Amt 30 Prozent des Regelsatzes einbehalten. Damit wäre der Langzeitarbeitslose dauersanktioniert.

»So eine ähnliche Regelung gibt es zwar jetzt schon. Neu ist aber, dass man den Kreis der Betroffenen massiv erweitern will«, erläutert Werner Schulten, viele Jahre Sprecher der BAG Hartz IV der LINKEN. So könnte es ältere Leistungsbezieher treffen, die sich einer Zwangsverrentung verweigern.

Doch auch Menschen, die sich regelkonform verhalten, wären nicht vor Extrazahlungen sicher. So könnten die Kommunen zukünftig eine Obergrenze für Heizkosten festlegen. Wer darüber liegt, weil er etwa ein wärmebedürftiges Kleinkind hat oder eine schlecht isolierte Wohnung, der müsste den Mehrbetrag aus eigener Tasche zahlen.

Für die Linksparteivorsitzende Katja Kipping, die ebenfalls vorm Jobcenter Flyer verteilt, ist der Entwurf vor allem auch ein Versagen der Bundesarbeitsministerin. Die größte Rechtsvereinfachung, die Abschaffung der bürokratisch aufwendigen Sondersanktionen für unter 25-Jährige, scheiterte am Veto aus Bayern. Zuvor hatte eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe in einem fast zwei Jahre andauernden Prozess entsprechende Vorschläge zur »Rechtsvereinfachung im SGB II« zusammengestellt. »Doch Andrea Nahles ist vor Horst Seehofer und seiner CSU eingeknickt«, sagt Kipping. Tatsächlich hatte die SPD-Ministerin die strengen Strafen für junge Menschen entschärfen wollen, denen das Amt bereits nach der ersten gravierenden Verfehlung den Regelsatz für drei Monate komplett streichen kann. Doch Horst Seehofer wollte auf den »Erziehungseffekt« dieser Maßnahmen nicht verzichten.

»Tatsächlich enthält der Entwurf neben vielen Härten auch einige Verbesserungen«, räumt Kipping ein. Allerdings sei es zweifelhaft, ob die Regeln zur angestrebten Rechtsvereinfachung führten. So habe man die Experten in der Linksfraktion die Passage zu Hartz IV und Bafög prüfen lassen. Auch nach mehreren Stunden, so Kipping, seien die juristisch geschulten Mitarbeiter zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Auch den Sachbearbeitern in den Ämtern schwant Böses. In einem Rundbrief vom Februar sprachen sich die Jobcenter-Personalräte gegen den Entwurf aus. Bei den Vorschlägen handele es sich »in der Summe auch nicht um Rechtsvereinfachungen«, so die vernichtende Kritik.

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