nd-aktuell.de / 11.03.2016 / Politik

Richter wegen Einsatz für Holocaust-Überlebende verklagt

NRW-Justizminister verklagt Richter - Holocaust-Opfer irritiert

Frank Christiansen
Dass ein Justizminister einen Richter verklagt, ist in Deutschland ein seltener Vorgang. Wenn der Richter sich zudem Verdienste um Holocaust-Opfer erworben hat, droht daraus ein internationales Politikum zu werden.

Düsseldorf. Für die einen ist er ein Held, der Holocaust-Überlebenden zu Recht und Rente verhalf. Für die anderen ist er ein Querulant und Nestbeschmutzer. An dem Essener Landessozialrichter Jan-Robert von Renesse scheiden sich die Geister. Am Donnerstag steht der Jurist selbst vor Gericht, verklagt von NRW-Justizminister Thomas Kutschaty. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum und Holocaust-Opferverbände zeigen sich wegen des Verfahrens verärgert. Das Zentrum wandte sich sogar schriftlich an die Bundesregierung.

Der NRW-Justizminister hat gegen den Juristen 5000 Euro Geldbuße wegen Rufschädigung der Justiz beantragt. Ein Streitpunkt ist ein Brief des Richters an den Bundestag. Darin soll er behauptet haben, Holocaust-Opfer hätten vor den Gerichten in Deutschland kein faires Verfahren bekommen und seien um ihre Ansprüche gebracht worden. Dies nehmen ihm einige seiner Richter-Kollegen übel.

Dass sich von Renesse, Verdienste für die Holocaust-Überlebenden erworben hat, sei dabei unstreitig, versichert ein Ministeriumssprecher. Es gebe ihm dennoch nicht das Recht, Richter-Kollegen zu verunglimpfen.

Der Streit, der seit Jahren verbittert geführt wird, entzündete sich um die Renten für Ghetto-Gefangene während der Nazi-Gewaltherrschaft. Der Bundestag beschloss 2002 ein Gesetz, das Überlebenden der Ghettos Rentenansprüche in Aussicht stellte, sofern sie dort einer freiwilligen Arbeit gegen eine Entlohnung nachgingen. Für Zwangsarbeit gilt dies nicht.

Das Gesetz weckte große Hoffnungen - doch eine Ablehnungsquote von über 90 Prozent sorgte rasch für ebenso große Enttäuschung. Es war von Renesse, der zu den Überlebenden nach Israel reiste und sie dort befragte, die komplizierten Fragebögen der Renten-Bürokratie kritisierte, historische Gutachten einholte und dessen Anerkennungsquote weit über der seiner Kollegen lag.

Doch der Jurist sah sich daraufhin Feindseligkeiten ausgesetzt. Während er krank war, seien seine Anordnungen aufgehoben und Daten vernichtet worden. Hinter seinem Rücken habe ein Geheimtreffen stattgefunden, das sich gegen die Opfer gerichtet habe. Gegen Morddrohungen im Internet habe sein Dienstherr nichts unternommen. Er sei in ein klammes Büro mit unzureichender Heizung versetzt worden.

Die Justiz dementiert. Es seien allenfalls Alleingänge des Richters gestoppt worden. Das kritisierte Treffen habe sogar im Gegenteil einer Beschleunigung der Verfahren und einer rascheren Anerkennung der Ansprüche von Holocaust-Opfern dienen sollen.

2008 ändert die Sozialgerichtsbarkeit ihren Kurs: Es kommt zur »Kehrtwende von Kassel«. Seither wendet das Bundessozialgericht beim Ghettorenten-Gesetz wesentlich mildere Maßstäbe an, wenn es über die Ansprüche entscheidet.

Von Renesse richtet eine Petition an den Bundestag, in der er sich über die Vorgänge und die Schwächen des Gesetzes beklagt. Inhaltlich sei seine Petition, wegen der er nun vor Gericht stehe, erfolgreich gewesen, sagt sein Anwalt. Doch der Richter verliert auch mehrere Gerichtsverfahren: So seien Eingriffe in seine richterliche Unabhängigkeit nicht festzustellen gewesen, attestiert ihm die Justiz.

Das Richterdienstgericht in Düsseldorf bemüht sich am Donnerstag darum, das zerbrochene Porzellan zu kitten: Von einer Einigung seien beide Seiten doch gar nicht weit entfernt gewesen. Bis zum 19. April haben sie nun Zeit, einen Vergleich auszuhandeln. Und der sollte bitteschön Priorität haben: »Hier wird keiner als Gewinner rausgehen.« dpa/nd