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Ganz wie der späte Stalin

Die britische Band The Fall gibt ein kurzfristig anberaumtes »Überraschungskonzert«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Irgendwer, leider habe ich vergessen, wer es war, nannte den ungewöhnlich belesenen Sänger und Songtexter Mark E. Smith, der in seiner Jugend Philip K. Dick und Edgar Allan Poe gelesen und seine Band nach einer Erzählung von Albert Camus benannt hat, einmal den »einzigen modernen Schriftsteller, der einer Rockband vorsteht«. Erst neulich hat sich der wunderbare Grummelkopf und Grantler, der vor einer Woche 59 Jahre alt geworden ist, wieder mal zu Wort gemeldet. Warum »all die jungen Männer« aus Syrien denn nicht »in ihrem Land bleiben, um zu kämpfen«, fragte Smith, ein Bier schlürfend, seinen Interviewer. Schließlich, so Smith weiter, sei auch Großbritannien 1940 allein gegen Nazideutschland gestanden. Und man möchte ihm antworten: Vielleicht, weil viele Syrer jetzt, wo sie schon ausgebombt wurden, nicht auch noch totgeschossen werden wollen?

Mark E. Smith, der noch nie das Aussehen eines Popstars hatte und auf ein solches auch niemals den geringsten Wert legte, ist, das muss man wissen, eigentlich als der ewige Neinsager, Nichtmitmacher, Nörgler und - gelinde ausgedrückt - Eigenbrötler des britischen Popgeschäfts bekannt. Es dürfte keinen geben, der auf einer Bühne so wunderbar gelangweilt und desinteressiert wirken kann wie er. Die Tageszeitung »Die Welt« nannte ihn einmal »den letzten Aufrechten der britischen Underground-Musik«. Seit 40 Jahren steht der Mann mit dem irgendwie zerknautscht wirkenden Gesichtsausdruck nun der von ihm 1976 in Manchester gegründeten Band The Fall vor, die in den vergangenen Jahrzehnten sämtliche Höhen und Tiefen einer Rockband durchlebt haben dürfte, von der Kneipenschlägerei über kurzzeitige Chartserfolge in den späten 80er Jahren bis zur unvermeidlichen Adelung zur »Kultband«.

Die Besetzung der Gruppe wird seit ca. 25 Jahren für gewöhnlich halbjährlich bis jährlich ausgewechselt, je nach dem, was für eine Laune der Patriarch und Griesgram Smith gerade hat, von dem gesagt wird, dass er einzelne seiner Musikerinnen und Musiker immer wieder in rüdester Weise zusammengestaucht oder abgekanzelt hat. In einem Artikel anlässlich seines Geburtstages war in der britischen Tageszeitung »The Independent« kürzlich zu lesen: »Nicht nur Bandmitglieder müssen sich in Acht nehmen. Einmal feuerte er einen Tontechniker, weil dieser einen Salat bestellt hatte.«

Smith ist unberechenbar, aber auch berechenbar, was seine Unlust angeht, sich dem allgemeinen Pop- und Medienbetrieb anzuschmiegen oder anzudienen. »Zu Ehrungen seiner vornehmlich britischen Fangemeinde verhält er sich wie der späte Stalin zu den Ehrungen der Partei - er nimmt sie zur Kenntnis, er nimmt sie nicht an«, stellte der Verleger Jörg Sundermeier, selbst bekennender Fan von The Fall, einmal in der »taz« fest. Und die Wochenzeitung »Jungle World« schrieb über Smith: »Deutschen Fans erklärte er, dass ihre Liebe zu seiner Musik vor allem darauf beruhe, dass sie noch immer Faschisten seien.«

Die Musik, die The Fall seit Jahrzehnten spielen, ist »kein Punk, kein New und keinen No Wave« (»taz«), sondern ein trockenes, hartes, stoisches, repetitives Bass- und Schlagzeuggerumpel (das allerdings erkennbar in der Tradition des Post-Punk der späten 70er und frühen 80er Jahre steht). Wenig verändert hat sich in all den Jahren auch an den verstörenden, verrätselten Paranoiatexten, die teils ins Surreale lappen und nicht selten einen bösartigen oder bitteren Witz haben. The Fall, so schrieb schon in den Achtzigern der Bandbiograph und Journalist Brian Edge, »wühlten im Dreck und zeigten der Mitwelt, was sie gefunden hatten: ›Hier, so sieht es aus.‹ Trostsuchenden hatten sie keinen Trost zu offerieren.«

Mit Rechten will Mark E. Smith logischerweise nichts zu tun haben, jede Art »Patriotismus« oder nationalistisches Geschwafel ist dem kauzigen Briten fremd. Aber auch dogmatischen Linken, die die Band aufgrund ihres Underground- und Arbeiterklasse-Gestus zu vereinnahmen suchten, antwortete Smith schon einmal mit dem Vorschlag, auf die Sowjetunion eine Atombombe werfen zu lassen: »Du musst nur mal in die DDR fahren ... es ist grauenvoll ... Es ist wie in Middlesborough.«

In den vergangenen Jahren spielten The Fall, wenn sie nach Berlin kamen, regelmäßig Konzerte im Club »Maria am Ufer«, mit deren langjährigem Betreiber Smith angeblich befreundet war. Auf der Bühne stakst der Band-Patriarch, mittlerweile etwas tatterig wirkend, eher ungalant herum und zischt, nuschelt, knurrt oder bellt seine Texte ins Mikro. Oder in ein Megaphon. Dabei kneift er auch zuweilen zwanghaft die Augen zusammen und schiebt seine Zunge in der Mundhöhle fortwährend hin und her, sodass man den Eindruck erhält, er grimassiere unentwegt (es handelt sich wohl um einen Tic). »Es gibt nur wenige Menschen, neben denen Shane MacGowan - selbst wenn er einen schlechten Tag hat - gesund aussieht. Mark E. Smith ist einer von ihnen«, hieß es vergangenes Jahr im »Guardian«. Manchmal ist Smith auch schon umgefallen auf der Bühne, einfach so. Oder er greift nach Lust und Laune seinen Mitmusikern in die Tasten oder Saiten, was oft schrille, falsche Töne zur Folge hat, was die Bandmitglieder aber ungerührt über sich ergehen lassen. Sie wissen ja, mit wem sie es da zu tun haben.

In einem Konzert, das die Band Ende der 90er Jahre in der Berliner Volksbühne gab, in der sie eine Zeit lang passenderweise alljährlich an Heiligabend gastierte, setzte sich Smith, dem nachgesagt wird, er zöge Bier und Amphetamine anderen Drogen vor, mitten während des Auftritts einmal an den Bühnenrand und tat etwa zehn Minuten gar nichts. Oder er verschwand gänzlich von der Bühne, während seine Musiker einfach tapfer den schwer bass- und schlagzeuglastigen The-Fall-Groove weiterspielen und - mit der Ungewissheit, ob der Chef wiederkommt oder nicht - auf ihn warten mussten. In seinem jüngsten Interview, das Smith, der manchmal reaktionäres Zeug daherredet, manchmal aber auch erfrischend Unkonventionelles zum Besten gibt, in einem Pub sitzend, kürzlich dem britischen Fernsehsender Channel Four gegeben hat, verlieh er seiner Meinung Ausdruck, dass »fast die halbe« Bevölkerung Englands »nicht an Computern interessiert« sei, »keinen Scheißzugang zu ihnen« wolle und sich überdies auch »keine leisten« könne. »Warum muss jeder online sein? Mir erscheint das nicht englisch.« So jedenfalls wird Smith von der Musikzeitschrift »New Musical Express« zitiert.

The Fall waren zeit seines Lebens auch die Lieblingsband des kultisch verehrten britischen Radio-DJs John Peel, der sie immer nur als »the mighty Fall« bezeichnete (»mighty« bedeutet in diesem Zusammenhang etwa »großmächtig«, »gewaltig«, »unvergleichlich«) und nicht nur ihre Songs über Jahrzehnte hinweg fortwährend in seinen Sendungen spielte, sondern die Gruppe auch regelmäßig zu Radiosessions einlud.

Auf die Frage, ob das Leben mit The Fall nicht anstrengend sei, antwortete Smith vor ziemlich genau zehn Jahren mit folgenden Sätzen: »Was ich tue, ist wichtig. Es handelt sich gewissermaßen um einen künstlerischen Auftrag. Würde ich mich ausverkaufen, würde ich diesen und somit mein ganzes Leben in Frage stellen. Also verkaufe ich mich jetzt, mit 49, erst recht nicht.« Soeben erschien ein neues Kurzalbum der Band mit sieben neuen Stücken.

Konzert & Record Release Party: The Fall, 12.3., 22.30 Uhr, »White Trash Fast Food«, Am Flutgraben 2, Treptow.

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