nd-aktuell.de / 14.03.2016 / Politik / Seite 8

SYRIZA braucht mehr Protest

Der griechische Politiker Giorgos Chondros über die schwierigen Verhandlungen mit den Gläubigern, die Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik und die Zukunft seiner Partei

Giorgos Chondros, Jahrgang 1958, ist Ethnologe und Umweltpolitiker. Das Gründungsmitglied von SYRIZA gilt im deutschsprachigen Raum als Stimme der griechischen Regierungspartei. Wegen seiner Verbundenheit zu Wien kandidierte Chondros bei der Landtags- und Gemeinderatswahl im Oktober für das links-grüne Bündnis »Wien anders«. Über die aktuellen Herausforderungen für die SYRIZA-geführte Regierung in Griechenland sprach Katja Herzberg mit ihm am Rande eines Auftritts bei der Rosa Luxemburg Stiftung.

Griechenland ist das am stärksten vom Flüchtlingszustrom betroffene Land in der EU. Wie sehr belastet die Situation die Regierung zusätzlich zu den andauernden Verhandlungen mit den Gläubigern?
Zunächst möchte ich festhalten, dass Griechenland bisher das einzige Land ist, das die europäischen Vereinbarungen in der Flüchtlingsfrage einhält. Dagegen kommt die Umverteilung der Asylsuchenden aus Griechenland und Italien in die anderen EU-Länder nicht voran. Im Lande selbst sind wir ziemlich an den Grenzen unserer Möglichkeiten und Kapazitäten. Im Moment sind etwas über 43 000 Flüchtlinge in Griechenland. Es kommen jeden Tag neue hinzu. Die Regierung, die Verwaltung, aber vor allem die griechische Bevölkerung tun alles, was möglich ist, um diesen Menschen ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das langt aber bei Weitem nicht. Was derzeit in Idomeni geschieht, ist eine Schande für unsere Zivilisation. Nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa.

Die Regierung musste in den vergangenen Wochen auf die Grenzschließungen auf dem Balkan und Österreichs reagieren. Gleichzeitig sind die Vertreter der Troika zurück in Athen und überprüfen die geplanten Reformen. Was sind die Knackpunkte bei den Gesprächen mit den Institutionen?
Es gibt vier Knackpunkte: die Rentenreform, die Steuerreform, der große Privatisierungsfonds und die Kredite bei privaten und öffentlichen Haushalten, die nicht mehr bedient werden. Griechenland hat bis jetzt auch auf diesem Gebiet seine Pflichten erfüllt. Wir erleben aber leider, dass die Institutionen weiterhin versuchen, alles neu zu verhandeln. Sie wissen genau, welch wichtige Rolle die Zeit spielt. Wenn wir nicht sehr bald zu einer erfolgreichen Überprüfung kommen, um dann die vereinbarte Diskussion über den Schuldenschnitt zu beginnen, dann sind wir möglicherweise wieder bei der Diskussion über einen Grexit. Denn bald wird die nächste große Tranche bei der Schuldentilgung fällig.

Das erste Jahr an der Regierung und die anhaltende Krisensituation waren und sind auch eine Belastungsprobe für SYRIZA selbst. Wie ist die Stimmung in der Partei?
Der große Enthusiasmus, der zum ersten Wahlsieg führte, ist im Verlauf des vergangenen Jahres verloren gegangen. Die Abspaltung der Volkseinheit war ein sehr traumatisches Erlebnis für die Partei, aber auch insgesamt für die linke Bewegung in Griechenland. Wir sind nun dabei, unseren Parteitag im Mai zu organisieren. Demnächst wird die Programmkommission unseren programmatischen Vorschlag vorstellen und auf dem wird dann die gesamte Diskussion bis zum Parteitag basieren.

Wird auch die Klärung der Beziehung von Partei und Bewegung ein Thema sein?
Diese Frage ist nach wie vor offen. Sehr viele Kräfte sind aus der Partei in die Regierung gegangen. Ein wesentlicher Teil hat sich nach der Spaltung von SYRIZA im Sommer ganz aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Wir versuchen den Kontakt zu anderen linken Projekten nicht zu verlieren. In der Flüchtlingskrise hat sich erneut gezeigt, wie wichtig soziale Bewegungen und Netzwerke sind.

Gleichzeitig gab es in den vergangenen Wochen Protestaktionen insbesondere gegen die geplante Rentenreform. Wie sehr setzen diese Demonstrationen die Regierung unter Druck?
Nun haben die Menschen in Deutschland auch endlich einmal von den Bauernstreiks gehört. Seit 20 Jahren demonstrieren die Landwirte zu dieser Jahreszeit. Das ist ihr gutes Recht, nur erst jetzt hat die Welt das mitbekommen.

An den Protesten haben sich aber auch weitere Berufsgruppen und Gewerkschaften beteiligt.
Ja und ich finde, dass noch viel zu wenige auf die Straße gehen. Es sollen viel mehr Menschen demonstrieren und viel mehr fordern. Es wäre gut für die Regierung, wenn sie sich bei den Verhandlungen auf die Proteste der Bevölkerung stützen könnte. Denn die Menschen wehren sich hauptsächlich gegen die Sparpolitik. Und die Sparpolitik ist nicht die Politik von SYRIZA.

Und doch setzt die SYRIZA-geführte Regierung diese Politik in Teilen um. Schmerzt es nicht umso mehr, wenn sie direkt angegriffen wird, wie bei den Protesten geschehen?
Ja, aber das kann man verstehen. Die Rolle der Medien und anderer Gruppen in Griechenland ist hierbei nicht zu unterschätzen. Bis zum letzten Jahr wurden die Bauern als Landesverräter diffamiert. Jetzt waren sie bei denselben Sendern die großen Helden. Die Frage ist: Soll jetzt diese Rentenreform gemacht werden oder nicht? Ich sage: Sie ist notwendig und annehmbar, denn der Vorschlag der Regierung sieht keine Kürzungen vor. Würde der Vorschlag der Institutionen durchgehen mit Kürzungen von zehn, elf Prozent bei den Rentenbezügen, dann sähen die Proteste in Griechenland noch ganz anders aus.

Während Griechenland mit den Institutionen hadert, wurden zu Jahresbeginn mehrere Konferenzen zur Zukunft Europas abgehalten, darunter das Format »Plan B« und das Projekt »DiEM25«. Am Wochenende findet eine Konferenz »gegen Austerität und für Demokratie in Europa« in Athen statt, an der Sie selbst teilnehmen. Wie wird diese Diskussion in Griechenland verfolgt?
Für meine Begriffe sind soziale Bewegungen nicht etwas, das in wunderbaren Sälen mit großem Medienaufwand stattfindet. Aber ich finde diese Diskussionen sehr interessant. Mit vielem, was in den Papieren steht, gehe ich mit. Und ich finde auch - das sage ich schon seit Jahren genauso wie SYRIZA -, dass dieses Europa nicht unser Europa ist. Wir müssen eine wirkliche Alternative zur neoliberalen Austeritätspolitik suchen. Dafür ist es nötig, alle diese Initiativen zu verbinden und die Diskussion gemeinsam zu führen. Wenn wir uns nicht so erfolgreich koordinieren und zusammenarbeiten wie unser Gegner, dann haben wir weiterhin keine Chance. Dann wird sich das Kräfteverhältnis auch nicht ändern.