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Echtes Glück!

Zum Opferverein AfD

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Wäre es tatsächlich denkbar, dass Wähler rechtsradikaler Parteien rechtsradikal sind? Unser Autor Thomas Blum glaubt nicht an den Mythos vom AfD-Wähler als dem hilflosen, enttäuschten kleinen Mann.

Glaubt man den TV-Journalistendarstellern, die in ihrer Mischung aus politischer Ahnungslosigkeit und Unbedarftheit einander glichen wie ein Eierkopf dem anderen, als sie am vorgestrigen Wahlabend ihre kritischen Fragen abspulten (»Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?«), und denen es zum wiederholten Mal gelungen ist, die AfD als eine Art Selbsthilfeorganisation für sich unverstanden Fühlende darzustellen, dann handelt es sich bei der Partei und ihren Wählern um bedauernswerte Hilflose und Ohnmächtige, deren »Sorgen und Nöte« man »ernst nehmen« und die man in den Kreis jener »zurückholen« müsse, die ihrem deutschen Leitkulturmumpitz und ihrem Rassismus in gesitteter Form nachgehen. Oh! Fiel da eben das böse Wort mit R? Widerspruch! Deutschland ist nicht ausländerfeindlich! In Deutschland hat man nur berechtigte Vorbehalte, ernste Bedenken und viel Tagesfreizeit. Es ist also wohl so, wie »Titanic«-Chef Tim Wolff feststellte, der in der Nacht zum Montag zu folgender Schlussfolgerung kam: »Was mich nach diesem Wahlabend und den ganzen Analysen ausgesprochen beruhigt: Es gibt tatsächlich in Deutschland keinen einzigen Menschen, der aus Überzeugung Rechtsradikale wählt, immer nur aus Enttäuschung und Protest. Ein echtes Glück!«

Es wäre aber vielleicht auch denkbar, dass mit Orten, an denen das Anzünden von Menschen eine weithin akzeptierte Freizeitaktivität ist, die kaum strafrechtlich verfolgt wird, während zivilgesellschaftliches Engagement als »Landfriedensbruch« gilt, grundsätzlich etwas nicht stimmt.

Es wäre doch vielleicht möglich, dass es sich bei den Wählern einer rechtsradikalen Partei um Rechtsradikale handelt. Es wäre doch vorstellbar, dass der kulturreaktionäre schwäbische und pfälzische Wohlstandsbürger mit Eigenheim, der Angst hat, dass der Rumäne ihm seinen Flachbildschirm wegstiehlt, und der Stiefelnazi mehr gemeinsam haben als ihre Staatsangehörigkeit.

Vielleicht wäre ja so auch zu erklären, warum sogenannte etablierte Politiker am Wahlabend ohne erkennbare Anzeichen von Ekel neben den diversen gewählten grinsenden AfD-Kandidaten herumstanden, die die Arroganz der Macht, die sich die bürgerlichen Politiker in jahrelanger Kleinarbeit aneignen mussten, schon jetzt zur Schau tragen.

Ein Gutes haben die Wahlergebnisse ja: Vielleicht macht man sich im Ausland jetzt weniger Illusionen über die modernen Deutschen, die »unbeschwert« ihren »Patriotismus« ausleben.

Die SPD, die frohgemut auf dem Weg zur Splitterpartei ist und die sich ihre desaströsen Wahlergebnisse mit ihrer obszönen Mischung aus Sozialabbau, Elendsverwaltung und deutschnationalem »Wir«-Gequatsche redlich verdient hat, hat noch am Wahlabend gezeigt, dass man an dem unbeugsamen Opportunismus und dem Größenwahn, der typisch für die Partei ist, festhalten wird. Die SPD werde »den Kampf für das demokratische Zentrum in Deutschland voller Entschlossenheit aufnehmen«, tönte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Gewiss, gewiss. Vermutlich mit derselben Entschlossenheit, mit der die SPD 1914 den Kampf für den Weltfrieden aufgenommen hat.

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