nd-aktuell.de / 16.03.2016 / Kultur / Seite 2

Flucht und Neuland 2.0

Wie sich die Buchmesse der Gegenwart stellt

Martin Hatzius
Den Themen Zuwanderung und Integration gilt ein Schwerpunkt dieser Messe. Daneben gibt es erstmals auch eine Bloggerkonferenz.

In erster Linie ist die Leipziger Buchmesse ein riesiger Marktplatz. Stand an Stand präsentieren Verlage und Dienstleister den Besuchern ihre neuen Produkte. Im Gegensatz zur Herbstmesse in Frankfurt am Main ist die Leipziger Bücherschau durchgängig auch für das fachfremde Publikum geöffnet. Nirgendwo sonst treffen Verlage, Buchhändler und Literaturvermittler, Autoren und Leser so geballt aufeinander wie hier.

Ja, es geht der Branche, die im vergangenen Jahr Umsatzeinbußen von 1,7 Prozent zu verzeichnen hatte, auch in Leipzig vor allem ums Geschäft. Weil aber das gedruckte wie auch das elektronische Buch ein Transportmedium für in Sprache gefasste Ideen ist, unterscheidet sich die Buchmesse dennoch von einer Verkaufsschau etwa für Autos oder für Küchengeräte. Man kann diesen Marktplatz, wenn man denn will, auch im Sinne eines Forums erkunden, auf dem sich der Geist der Zeit artikuliert, auf dem sich politische Meinungen reiben, gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert oder vorweggenommen werden.

Zu einem Schwerpunktthema dieses Messejahrgangs sind die Themen Integration und Zuwanderung ausgerufen worden. Das ist wenig überraschend, gewinnt aber noch einmal an Brisanz, wenn man weiß, dass in der Messehalle 4 bis zum Dezember 2015 Hunderte von Flüchtlingen untergebracht waren. Jetzt bietet die 20 000 Quadratmeter große, nach der Verteilung der Flüchtlinge auf andere Unterkünfte sanierte Fläche Platz für die Stände von Verlagen aus dem In- und Ausland, für diverse Cafés und thematische Foren. Auch das Forum »Café Europa« ist hier angesiedelt, Veranstaltungsort für sechs Podiumsdiskussionen zum Schwerpunktthema »Europa 21«. Darüber hinaus ist am Freitagabend einen Veranstaltung zur Zuwanderung im Neuen Rathaus geplant und in der Glashalle der Messe werden Hörstationen die Besucher mit den Stimmen von Asylsuchenden konfrontieren.

Im Trubel einer Messe von dieser Größe und Vielfalt ist freilich auch ein proklamierter Schwerpunkt nicht mehr als eine Insel, an der man leichthin vorbeischwimmen kann. Einen allgemeingültigen Wegweiser gibt es nicht, jeder Besucher bahnt sich je nach Interessen- und Gemütslage selbst seine Pfade durch die schiere Menge. Längst integriert in die Buchmesse sind neben Mangas, Comics und Graphic Novels die vielen Cosplayer, die mit ihren fantastischen Kostümen seit Jahren die Farbpalette im Publikum bereicherten. So, wie die Antiquariatsmesse traditionell in die Buchmesse eingebettet ist, steht der vornehmlich jugendlichen Szene nun bereits zum dritten Mal eine eigene Fläche zur Verfügung. Die am Rande gelegene Halle 1 ist für die »Manga Comic Convention« reserviert.

Dass der Literaturbetrieb längst nicht mehr auf die klassische Beziehung zwischen Autor, Verlag, professioneller Literaturkritik und Kundschaft reduziert ist, beweisen auch die Literaturblogger, die mit ihren Lektüreerfahrungen, Rezensionen und literarischen Begegnungen für einen Teil der Bücherfreunde zu wichtigen Informationsquellen geworden sind. Nachdem im Vorjahr in Leipzig eine »Bloggerlounge« eingerichtet worden war, um den Hobbykritikern den direkten Kontakt zu Verlagen und Autoren zu erleichtern, findet dieser Bereich am Sonntag nun erstmals in einer Konferenz seinen Niederschlag.

Ein Podium bietet die Messe diesmal auch jungen Unternehmen, deren digitale Entwicklungen sich auf den Buchmarkt der Zukunft auswirken könnten. Im »Startup-Village Neuland 2.0« dürfen 14 ausgewählte App-Entwickler, Linkservices und Online-Plattformen ihre Innovationen präsentieren. Die neue Buchmesse-App indessen verspricht auch jenen Besuchern, die sich »nur« für Gedrucktes interessieren, Navigation und Orientierung.

Eröffnet wird die Leipziger Buchmesse an diesem Mittwochabend im Gewandhaus mit der Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung an den Historiker Heinrich August Winkler. Seite 13