EU-Pakt mit Ankara auf wackligen Füßen

Vor allem Bulgarien, Ungarn und Zypern machen Zustimmung von Berücksichtigung ihrer Bedenken abhängig

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Trotz aller zur Schau gestellten Zuversicht aus Berlin - die Mitgliedsländer der Union konnten sich vor ihrem erneuten Flüchtlingsgipfel nicht auf eine gemeinsame Position einigen.

Es wird ihn nicht geben, den EU-Türkei-Pakt in der Form; jedenfalls nicht wie er auf dem EU-Türkei-Gipfel vor zehn Tagen ebenfalls in Brüssel ausgehandelt wurde. Das ist zumindest die Botschaft, die EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwochvormittag verbreitete. Bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel sagte ein Tusk-Sprecher, es sei nicht möglich gewesen, sich unter den EU-Staaten auf eine gemeinsame Position zu den Vorschlägen vom 7. März zu einigen. Deshalb bereite Tusk jetzt einen neuen Text vor. Er soll so gestaltet sein, dass ihm sowohl alle EU-Staaten als auch die Türkei zustimmen könnten. Außerdem sollen die neuen Vorschläge rechtlich abgesichert und praktisch umsetzbar sein.

Man darf gespannt sein, was für ein Wundertext das werden wird. Und vor allem, ob sich die Zustimmung aller Partner tatsächlich so organisieren lässt, wie Tusk das glaubt.

Unabhängig vom Ausgang der Türkei-Verhandlungen wollen die Gipfelteilnehmer aber noch andere Beschlüsse fassen, die auch ohne einen Pakt mit der Türkei einen Fortschritt in der gemeinsamen Flüchtlingspolitik bringen sollen. Die Punkte sind in den vorläufigen, im Vorfeld durchgesickerten Schlussfolgerungen des Treffens formuliert. Es sind Absichten und Verpflichtungen, die die EU selbst auf ihrem eigenen Territorium realisieren sollte.

Das heißt vor allem eine weitere Stärkung Griechenlands und der EU-Außengrenze. Die Funktion der Hot-Spots und der Aufnahmestrukturen für Asylsuchende sollen ebenso verbessert werden wie Griechenlands Möglichkeiten, illegale Flüchtlinge so schnell und human wie möglich wieder abschieben zu können. Fortschritte sollen erzielt werden bei einer Einigung, wie Flüchtlinge von Griechenland in andere EU-Länder verteilt werden.

Ob diesen Schlussfolgerungen praktische Maßnahmen folgen, bleibt abzuwarten. Ungarn zum Beispiel ist weiter strikt gegen ein Verteilungssystem. Die Hot-Spots sollten schon längst gut arbeiten. Aber zumindest hätte man etwas vorzuweisen, auf das man sich geeinigt hätte - sollte der Deal mit der Türkei letztlich doch komplett platzen.

Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Denn die Widerstände gegen das, was am 7. März beziehungsweise in den Morgenstunden des 8. März verkündet wurde, sind groß. Zypern will keine weiteren Kapitel zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei eröffnen, wenn die Türkei Zypern nicht endlich anerkennt. Das Veto Zyperns würde reichen, um einen Pakt zu verhindern. Bulgarien fordert, in den Türkei-Pakt namentlich mit aufgenommen zu werden. Denn wenn das Flüchtlingsproblem mit Griechenland gelöst werde, könnte es sein, dass die Flüchtlinge andere Wege suchen - und sich dann Bulgarien als Einreiseland in die EU aussuchen.

Die Tschechische Republik stört sich an den neuen Geldforderungen Ankaras - sechs statt der bislang zugesagten drei Milliarden Euro, die die EU zu zahlen hätte. Frankreichs Premierminister Manuel Valls sieht in den türkischen Forderungen ein Diktat. Es dürfe nicht sein, dass die Türkei der EU vorschreibe, wie das Gipfeltreffen laufen solle. Auch andere Länder wie Österreich hatten sich äußerst skeptisch gegenüber der türkischen Forderung nach Visafreiheit für türkische Staatsbürger bei Einreisen in die EU geäußert.

Dazu kommen die rechtlichen Bedenken vor allem zu der bisher skizzierten Abmachung, dass die Türkei illegal nach Griechenland eingereiste Flüchtlinge wieder aufnimmt, im Gegenzug dafür die EU der Türkei syrische Flüchtlinge abnimmt. Die UNO, der Europarat, das Europäische Parlament sowie zahlreiche Politiker und Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International hatten darauf hingewiesen, dass die einfache Rückführung von Flüchtlingen von Griechenland in die Türkei nicht mit internationalem Recht zu vereinbaren sei, an das auch die EU gebunden ist.

Tusk braucht schon einen starken Text, um alle Interessen, einschließlich der türkischen, unter einen Hut zu bringen. Die Aufgabe scheint schier unmöglich. Noch am Dienstag räumte der Pole selbst ein, dass es da noch viel zu tun gebe. Zumal die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch nicht klar ist. Sie hatte den Türkei-Pakt vom 7. März am Vorabend praktisch im Alleingang mit ihrem türkische Amtskollegen Ahmet Davutoglu ausgehandelt.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Nachmittag zunächst unter sich beraten. Am Freitagvormittag soll dann Davutoglu zu den 28 dazu stoßen.

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