Gefangen im falschen Fell

Ins Tierheim abgeschobene Kampfhunde warten oft jahrelang auf einen neuen Besitzer

  • Valentin Gensch
  • Lesedauer: 3 Min.
Obwohl manche sogenannten Kampfhunde aus der Art schlagen und völlig friedlich sind, will niemand sie haben. Eine Berlinerin liebt diese Hunde, vor denen andere sich ängstigen.

Wenn Sieglinde Stasny mit ihrem Leih-Hund Shrek Gassi geht, machen viele Menschen einen großen Bogen um sie. Das kniehohe, bullige Tier fällt mit seinem großen, keilförmigen Kopf, den weit auseinanderliegenden hellen Augen, und der rot gefärbten Schnauze auf. Nur wenige Zentimeter kann das Tier sein Maul öffnen. Ein Korb aus Kunststoff hat ihm Stasny um die Schnauze gebunden. Das Gesetz will es so.

Das Gesetz über das Halten und Führen von Hunden in Berlin ordnet Shrek als sogenannten Listenhund ein. Als Stafford-Terrier-Mix gehört er zu jenen Tieren, die vom Senat vor einigen Jahren auf den Index gesetzt wurden und als gefährlich gelten. Sie sollen angriffslustig, kampfbereit und aggressiv sein. Sie werden deshalb oft als Kampfhunde bezeichnet.

Schäferhunde am bissigsten

Im Jahr 2014 haben Hunde mehr als 600 Mal Menschen in Berlin angesprungen und verletzt. Dabei gingen lediglich 28 Angriffe von typischen Kampfhunderassen wie American Staffordshire Terrier oder Pit Bull Terrier aus.

Hunderassen, die nach dem Berliner Hundegesetz als nicht gefährlich eingestuft sind, wie Schäferhunde oder Dackel, fielen 539 mal Menschen an. Allerdings sind diese Hunde auch weiter verbreitet. Ein tatsächlicher Vergleich ist daher schwierig. dpa

Seit etwas mehr als sieben Jahren führt Sieglinde Stasny ehrenamtlich Hunde aus, die im Berliner Tierheim untergebracht sind. Angetan haben es der Rentnerin die besonders schweren Fälle, die oft jahrelang darauf warten, vermittelt zu werden. Im Schnitt dauert es etwa 450 Tage, deutlich mehr als ein Jahr, ehe für einen Listenhund ein neuen Besitzer gefunden wird. Ein normaler Hund muss dagegen nur knapp fünf Monate warten.

Shrek harrt seit bald 2000 Tagen oder fünfeinhalb Jahren in einem der größten Tierheime Europas aus. Niemand will ihn adoptieren. Für Sieglinde Stasny ist das völlig unverständlich. »Er ist so ein liebenswerter Hund. Er mag Suchspiele, kann sich benehmen - ist aber ein bisschen sensibel. Und schreckhaft. Daher sein Name.«

Tierpfleger Daniel Prinich kennt den Dauergast im Heim seit Jahren. Er will Shrek zum Gassigehen mit seinem Leih-Frauchen aus seiner Box holen. Vorsichtig öffnet Prinich die Tür von einem runden Raum, in dem elf Hunde getrennt voneinander leben. Sofort schlagen die Tiere an, bellen durcheinander und springen wild an den Gittern der Boxen hoch. Vor manchen Boxen warnt ein rotes Schild mit schwarzer Schrift: »Bissig!«.

»Shrek ist als Fundtier ins Tierheim gekommen«, erinnert sich Prinich. »Wir nehmen an, dass er aus kriminellen Kreisen kommt. Man wollte ihn wohl als Kampfhund erziehen.« Weil er weder so aggressiv und noch so bissig wie andere seiner Rasse ist, war er für seine Züchter wahrscheinlich unbrauchbar. Ein Hund im falschen Fell.

Wie ein verspielter Familienhund wälzt sich Shrek beim Spaziergang in hohem Gras und tollt auf dem Weg herum. In einer schwarzen Bauchtasche hat Sieglinde Stasny Leckerli dabei. Fingernagelgroßes, buntes Trockenfutter, mit dem sie den Listenhund belohnen möchte. Auf Kommando gibt das Tier seine Pfote oder setzt sich vor die Rentnerin. Dafür greift die 66-Jährige in ihr Täschchen, und greift eines heraus. Mit spitzen Fingern hält sie es vor den Maulkorb des Hundes. Trotz des Gestells schnappt sich Shreck behutsam seine Belohnung.

Mit den Jahren hat die einstige Archivarin die Hunde liebgewonnen. So sehr, dass sie sich einmal in der Woche Zuhause an den Herd stellt, und für die Vierbeiner kocht. Für Shrek hat sie heute ein gekochtes Ei und Joghurt mitgebracht. Donnerstags und sonntags geht Sieglinde Stasny mit Shrek spazieren. Jeweils eine Stunde. »Bei Wind und Wetter - ohne Ausnahme«, betont sie. Danach hängt sie noch mal zwei Stunden ran, um zwei weitere Listenhunde auszuführen.

Das Berliner Tierheim vermittelt nach Angaben von Sprecherin Beate Kaminski Listenhunde nur an bestimmte Menschen: »Es muss eine schriftliche Erlaubnis zur Haltung vom Vermieter vorliegen«. Dem Heim müsse zudem versichert werden, dass die Tiere nicht länger als sechs Stunden alleine daheim verbringen müssen. Das Land Berlin erwartet von Hundehaltern neben der Volljährigkeit auch ein Führungszeugnis, einen Sachkundenachweis und den Beweis, dass der Hund »keine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe« gegenüber Menschen oder Tieren aufweist. dpa

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