Barack Obama soll sich hier nicht einmischen

Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel über die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen und den Besuch des US-amerikanischen Präsidenten zum Putsch-Jahrestag

  • Lesedauer: 4 Min.
Über den Stand der Aufarbeitung der Diktaturversprechen sprach für »nd« mit Pérez Esquivel Jürgen Vogt.

Am 24. März jährt sich zum 40. Mal der Tag des Militärputschs. International bekommt Argentinien viel Beifall für die juristische Aufarbeitung der Diktaturzeit. Freut Sie das?
Ja, Argentinien ist einer der wenigen Staaten, der mit seiner eigenen Justiz über die Menschenrechtsverbrechen der Diktatur richtet. Das muss gewürdigt werden. Die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Prozesse wegen der Verbrechen in Ex-Jugoslawien waren Ad-hoc-Tribunale, die einzig dafür gebildet wurden. Dagegen ist es in Argentinien gelungen, die Verantwortlichen vor die eigenen Gerichte zu stellen und zu bestrafen.

Glauben Sie, dass die neue rechtskonservative Regierung die juristische Aufarbeitung behindern wird?
Nein, gegenwärtig deutet nichts darauf hin. Zum einen hat Ricardo Lorenzetti, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes klargestellt, dass es bei den Gerichtsverfahren kein Zurück geben werde. Sollte die Regierung hier zurückrudern wollen, ginge dies nicht, denn dies ist eine Angelegenheit der Justiz. Und zum anderen hat mir der Staatssekretär für Menschenrechte, Claudio Abru, versichert, dass die Regierung von Präsident Mauricio Macri die Gerichtsverfahren weiter begleiten werde.

Adolfo Pérez Esquivel

Der 1980 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Argentinier Adolfo Pérez Esquivel gilt als konsequenter Verfechter der Menschenrechte. 1977 wurde er von den Militärs verhaftet und für 14 Monate eingesperrt und gefoltert.

Es wird wieder zwei getrennte Gedenkmärsche geben. Warum lebt die Spaltung fort?
Ein Teil der Menschenrechtsorganisationen beschränkt sich auf das, was während der Diktatur geschehen ist. Das muss respektiert werden, denn viele Organisationen formierten sich, um zu erfahren, was mit den geliebten Angehörigen passiert ist. Ein anderer Teil der Organisationen begreift die Menschenrechte umfassender, es geht auch darum, was heute mit den Menschenrechten passiert. Der Staat ist verantwortlich für die Einhaltung und Achtung der Menschenrechte, und wenn sie verletzt werden, ist er dafür verantwortlich. Alles andere sind Straftaten. Es gab in Argentinien Menschenrechtsorganisationen, die sich zu Verbündeten des Staates und der vorherigen Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner wandelten und es auch weiterhin sind. Das sind die zwei wesentlichen Unterschiede.

Was bedeutet es konkret, die Menschenrechte umfassender zu begreifen?
Gegenwärtig wird im Kongress die Zahlung der Auslandschulden bei den sogenannten Geierfonds debattiert. Diese Hedge-Fonds haben nach dem Bankrott 2002 für fast umsonst argentinische Schuldentitel aufgekauft und danach auf die 100-prozentige Tilgung in Milliardenhöhe geklagt. Diese Schulden sind auch Teil der Auslandsschuld, die während der Diktatur angehäuft wurde, und daran klebt das Blut unserer Ermordeten, Verschwundenen und Gefolterten. Es wurde nie eine Überprüfung der Schulden vorgenommen, um zu sehen, welche Verbindlichkeiten legitim sind und welche nicht. Stattdessen wurde sie von allen Regierungen vor den Kirchners stets anerkannt und bedient. Ein anderes Beispiel. 2015 haben wir eine Untersuchung von 50 Strafanstalten im ganzen Land gemacht. Und dies waren beileibe nicht alle. Wir stellten dabei 6835 Fälle von Folter und Misshandlungen fest. Das ist mehr als besorgniserregend und zeigt, dass die Polizeikräfte ihre Haltung bis heute nicht veränderten. Zwar wurden einige Strukturen geändert, aber sie machen mit den Praktiken aus der Zeit der Diktatur weiter.

Die Verstrickung der USA in die Militärputsche der 1970er Jahre ist bekannt. Ausgerechnet am 23. und 24. März kommt US-Präsident Barak Obama nach Argentinien. War der US-Präsident schlecht beraten?
Die argentinische Regierung hatte dem US-Präsidenten vorgeschlagen, am 24. März die ehemalige Folterschmiede ESMA zu besuchen. Ich schrieb ihm daraufhin, dass dies an diesem Tag nicht geht, dass dies der Tag der Erinnerung des argentinischen Volkes an den Putsch und auch an die Teilhaberschaft der USA ist und, dass in ganz Argentinien dafür mobilisiert werde. Ich finde es gut, dass Barak Obama am 24. März in den Süden nach Bariloche fährt, um die Schönheit des Landes kennenzulernen und sich hier nicht einmischt.

Warum also kommt Obama?
Zwischen den Regierungen der USA und Argentiniens gibt es eine Annäherung. Er hat einen Freihandelsvertrag im Gepäck, mit dem die 2005 gescheiterte amerikanische Freihandelszone ALCA ersetzt werden soll. Obama wird versuchen, zu einer Übereinkunft zu kommen.

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