Varchentin: Tanken ab Hof

Mecklenburgisches Dorf versorgt sich selbst mit Biodiesel

  • Dierk Jensen
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch im nördlichsten ostdeutschen Bundesland machen sich Bauern Gedanken, wie sie Klimaschutz und ihren eigenen Gewinn besser unter einen Hut bringen. Im mecklenburgischen Dörfchen Varchentin produzieren Bauern ihren eigenen Diesel auf dem Feld.
»Die eigenen Ressourcen aktivieren«, erklärt Andreas Tornow, »das ist bei allen Aktivitäten im Energiebereich immer unsere Grundüberlegung.« Der Landwirt aus dem mecklenburgischen Varchentin machte sich schon Mitte der neunziger Jahre Gedanken darüber, wie man bei fallenden Getreidepreisen und weit entfernt von städtischen Zentren auf relativ schlechten Böden neue Wertschöpfung erzielen kann. Zusammen mit Berufskollegen und Handwerkern analysierte er den Ist-Zustand im 200-Seelen-Dorf: Hohe Arbeitslosigkeit, vier Ackerbaubetriebe ohne großen Arbeitsbedarf, kaum Tourismus und Handwerksbetriebe, die weit außerhalb der Region ihr Geld verdienen müssen. »Auf der anderen Seite haben wir damals errechnet, dass wir in unserem Dorf ungefähr 300 000 Euro für Heizenergie und 100 000 Euro für Kraftstoffe in der Landwirtschaft ausgeben«, erzählt Tornow im Sitzungssaal des Gutshauses im benachbarten Luplow. In dem 1730 gebauten Anwesen ist seit 2005 das so genannte Energiekontor Biomasse eingezogen, das als »Praxis- und Begegnungsstätte für Landwirte« mit der Unterstützung des Verbraucherministeriums seit 2005 über Biomasse aufklärt, berät und Projekte initiiert und betreut. »Statt die Energiekosten aus dem Dorf abfließen zu lassen«, so der 46-Jährige weiter, »wollten wir aus eigener Kraft Energie erzeugen und damit neues Einkommen erwirtschaften.« Anfänglich standen viele Ideen im Raum: Biogas, Holzhackschnitzel, Pellets usw. Doch entschied sich Tornow, Geschäftsführer zweier Landwirtschaftsbetriebe mit einer Ackerbaufläche von ca. 2000 Hektar, für Rapsöl aus eigenem Anbau. Die Umsetzung begann zunächst in kleinen Schritten. Zunächst rüstete er 1999 seinen Pkw auf Pflanzenölbetrieb um. »Das war alles gar nicht so schlimm.« Dann folgten die Traktoren. »Wir waren die ersten, die am 100-Traktoren-Programm der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) teilgenommen haben«, erzählt Tornow nicht ohne Stolz, »unsere Traktoren trugen die Nummer Eins und Zwei.« Um nun nicht nur grünen Kraftstoff zu fahren, sondern auch selbst dran zu verdienen, schaffte sich Tornow eine eigene Ölpresse an, die er direkt neben seiner Getreide- und Rapslagerhalle unterbrachte. Vier Jahre nach der Inbetriebnahme hat sich die Investition in die Produktion von Rapsöl als richtig erwiesen. Bei einer Tagesleistung von rund 2500 Liter liefert Tornows Ölmühle jährlich maximal 800 000 Rapsöl. Neben dem Eigenverbrauch werden vor allem Landwirte, Speditionen und Betreiber von Blockheizkraftwerken beliefert und die Ölkuchen genannten Pressrückstände werden als Viehfutter verwertet. Darüber hinaus hat sich die eigene Tankstelle unmittelbar neben der Ölmühle als ein lukratives Geschäft entwickelt - quasi Direktvermarktung ab Hof. »Viele Leute aus der Umgebung fahren hier vor«, sagt Tornow zufrieden, »wir bieten den Liter für 70 Cent an, das lohnt sich für unsere Kunden. Die können doch rechnen.« Der eigene Rapsanbau auf 500 Hektar, die Ölmühle und die Tankstelle sind dabei keine Einzelveranstaltung eines gut kalkulierenden Landwirts, sondern ein erster Baustein zu einem regionalen Gesamtkonzept, dass am Ende eine energetische Selbstversorgung aus Biomasse von Feld (Raps) und Wald (Holz) anstrebt. Mit Hilfe des Energiekontors Biomasse in Luplow wirbt Tornow für dieses Konzept. Er wird nicht müde, von den großen Chancen zu erzählen, die er in der energetischen Nutzung der Biomasse sieht. »Leider hat die Diskussion um die Besteuerung der biogenen Kraftstoffe einige Kollegen doch stark verunsichert«, ärgert er sich über die Politik. Umso mehr Hoffnung setzt er in die Entwicklung eines Pflanzenölmotors des Landmaschinenbauers John Deere, der derzeit in Rostock unter Hochdruck vorangetrieben wird. »Wenn das klappt, dann sind wir ein großes Stück weiter«, ist er sich sicher.
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